«Zwei Oltner Buben in der Fremdenlegion (5)»

Am zweiten Tag in Sidi Bel Abbès legten Adolf Hunziker Alfred Santschi ihre bürgerlichen Namen ab und erhielten Nummern. Hunziker war fortan Legionär Nummer 15427, Santschi trug Nummer 15428.

Der Alltag in Sidi Bel Abbès war hart. Dauerlauf um das Viereck des Exerzierplatzes unter der afrikanischen Sonne, eins zwei, eins zwei. Kartoffeln schälen, Waffe putzen. Latrine schrubben und schuften im Strassenbau, dann wieder Dauerlauf, eins zwei, eins zwei. Alle zehn Tage fünfzig Centimes Sold. Ein Liter dicker algerischer Rotwein kostete fünf Centimes. Den Rest trugen 15427 und 15428 in die Freudenhäuser des «Village nègre», ins «Moulin Rouge», das «Chat noir» und das «Palmier». Dort schlürften sie Schnaps in Gesellschaft von Frauen und hörten sich deren traurige, erlogene und deswegen nicht minder wahre Lebensgeschichten an.

Längst bereuten sie es bitter, nicht hübsch zu Hause in Olten geblieben zu sein. Noch blieben ihnen vier Jahre und elf Monate Dienst, die Verzweiflung war gross. Dann kamen Weihnachten, Silvester 1913 und Neujahr 1914. Die Kaserne war festlich beleuchtet, alle waren fröhlich. Alle? Nein. In einer Zimmerecke sassen in Gedanken versunken die Legionäre 15427 und 15428. Bei ihnen sassen zwei andere Schweizer, ein Stadtberner namens Otto Schreier, ein Oberländer namens Gustav Balmer. Flüsternd und tuschelnd heckten sie einen Plan aus: Sie wollten fliehen, desertieren. Zu Fuss bis nach Tripolis, der Hauptstadt von Tripolitanien. Und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Gleich am folgenden Abend um sieben Uhr.

Die Schwierigkeit war nur die, dass keiner von ihnen jemals eine Karte Nordafrikas gesehen hatte, und dass sie keine Ahnung hatten, dass ihr Fussmarsch nach Tripolis 1500 Kilometer durch die Wüste führen würde.

Alex Capus

Fortsetzung folgt...

 

Weitere Artikel zu «Kolumne», die sie interessieren könnten

Kolumne28.02.2024

Oltner Hundeleben

Die Oltnerin Cathrine Müller hat herausgefunden, dass der Kanton über Jahre zu Unrecht Hundegebühren eingezogen hat. Seit das Verwaltungsgericht der…

Kolumne21.02.2024

Schön wars

Etwas durcheinander, weil diese Mail über das Aus des Stadtanzeigers so unerwartet kam, schliesse ich das Fenster meines digitalen Posteingangs. Ich greife zum…

Kolumne14.02.2024

Winterfreuden

Diesen Winter leben wir im Sparmodus. Nachdem wir unser Haus umgebaut haben, muss zuerst wieder Geld hereinkommen, bevor wir es ausgeben können. Konkret heisst…