Zeit ist Zukunft
Schon geil, die Berge, der Wohlstand, … – und die direkte Demokratie ist mega! Da kann man überall mitbestimmen.» Mein Studienkollege hatte immer eine Meinung. Auch über die Schweiz – klar. Gern diskutierte er über belanglose Themen und über regionale, nationale und internationale Politik, über Wechselwirkungen und die Auswirkungen auf unser individuelles Leben. In der Mensa warf er öfter eine seiner Erkenntnisse über den Tisch, liebte es, sich eine Meinung zu bilden und vertrat sie selbstbewusst. Auch ich hatte oft eine Meinung. Mit guten Argumenten, mit mir bis dahin unbekannten Fakten, kann sich diese aber schnell ändern. Sie laut auszusprechen oder gar in sehr wenigen Zeichen auf Zeitungspapier zu veröffentlichen, hat etwas Endgültiges.
Sechs Jahre später weiss ich: Ja, die Berge sind wirklich nice. Skifahren und wandern? Ich liebs. Und ja, die direkte Demokratie ist eine riesige Chance, leider aber oft nicht alltagstauglich. Während ich in Deutschland zwei Mal alle vier Jahre die wählen durfte, die dann entscheiden, landet laut «swissinfo» etwa viermal jährlich ein Wahlcouvert in Schweizer Briefkästen, um allein über mehr als 15 eidgenössische Vorlagen abzustimmen. «Weisst du eigentlich, worüber du in drei Wochen bei den Liegenschaften der Oltner Kirchgasse abstimmst?», frage ich einen Kollegen. Weiss er grad nicht, im Zweifelsfall werde es ein Nein. Ja, die differenzierte Meinungsbildung setzt voraus, alle Fakten zu kennen. Doch dieses System lebt von der Meinung aller zu allem, macht auch dich zur Politikerin – unabhängig von Zeit und Kompetenz. Und auch diesen Monat werden die Wahlberechtigten der Stadt wieder zu Experten. Zwischen Alltag und Wahlkampf müssen sie schnell erfahren, worin diesmal. Und es lohnt sich einmal mehr, etwas Zeit aufzuwenden, sich umfangreich über das Worüber zu informieren und sein mega Wahlrecht zu nutzen.