Was ist ein Super-GAU?
Ich habe die Kolumne vergessen! Eine halbe Stunde vor Redaktionsschluss ruft der Stadtanzeiger an, sie seien auf der Suche nach meinem Text! Bin ich denn wirklich schon wieder dran? In den sechs Jahren, in denen ich die Kolumne nun schreibe, ist mir der monatliche Stadti-Termin noch nie durch die Lappen gegangen. So ein Ärger! Dabei habe ich grad vorhin schon Mist gebaut: Das Interview mit einer vielbeschäftigten Ärztin, die sich fürs Radio eine Viertelstunde für mich Zeit genommen hat, ist verschwunden, die Audio-Aufnahme: einfach weg! «Was für ein Super-GAU!», entfährt es mir.
Beim Wort «Super-GAU» jedoch übernimmt mein besseres Ich, und ich komme trotz Zeitdruck ins Sinnieren. Meine Gedanken schweifen ab nach Japan: Am 11. März 2011, also genau vor zehn Jahren, traf nach einem Erdbeben ein schwerer Tsunami die japanische Ostküste. Der Tsunami traf auch das Atomkraftwerk Fukushima und beschädigte dessen Reaktoren schwer. Es kam zu Explosionen, Radioaktivität wurde frei, 160000 Menschen mussten evakuiert werden. Das Unglück von Fukushima war ein Super-GAU – der erste in einem hochentwickelten, freiheitlichen Industrieland.
«Siehst du», sage ich zu unserem jungen Hund (der Rest der Familie ist ausgeflogen), «mit Worten muss man sorgfältig umgehen.» Eine fast verpasste Deadline, eine beinahe verlorene Audioaufnahme (die wundersamerweise wiederaufgetaucht ist), der Wahlzirkus in Olten, mein Ärger über das Verhüllungsverbot: All das ist Peanuts angesichts eines richtigen Super-GAUs wie Fukushima; der gewaltigen Folgen, die das Ereignis auf die Energiepolitik vieler Länder weltweit hatte, und vor allem angesichts der Tausenden von Menschen, die vor zehn Jahren ihr Zuhause verloren.