Was für ein Herbst!
Eigentlich ist dieser Herbst ja traumhaft – genau so, wie er sein sollte. Der Oktober beschert uns Sonnenschein, warme Temperaturen und Herbstfarben wie im Bilderbuch. Für Pilzsammler ist 2022 ein Rekordjahr; mein Gatte und ich haben die Steinpilze kiloweise aus dem Wald geholt. Und die Nüsse fallen manchen Baumbesitzerinnen in solcher Fülle von den Ästen, dass sie gar nicht mehr wissen, wohin damit. Noch eine gute Nachricht gefällig: Die Schweiz gewinnt mit dem Roman einer non-binären Person den Deutschen Buchpreis (was die SVP wenig freuen dürfte – egal).
Und doch ist vieles nicht so, wie es sein sollte. Der Ukraine-Krieg dauert an, zu Putins Grausamkeit fallen einem keine Worte mehr ein. Der Schweiz drohen Stromengpässe und kalte Wohnungen. Die Klimakrise zeigt ihr Gesicht immer deutlicher. Und: Die Coronazahlen steigen wieder. 5000 neue Fälle täglich waren es im letzten 7-Tage-Schnitt, 43 Prozent mehr als in der Vorwoche.
Man weiss aus der Geschichte, dass Pandemien nicht so plötzlich vorbei sind, wie man das vielleicht gerne hätte. Die Spanische Grippe von 1918 endete «offiziell» im Sommer 1919, dabei litten viele Länder – unter anderem die Schweiz – auch 1920 noch an schweren Folgewellen.
Man kann sich also aussuchen, woran man gerade verzweifeln möchte. Die Alternative dagegen? Ich weiss keine – sonst wäre ich vielleicht Pfarrerin geworden. Aber ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen: In meinem Chor, dem ich seit bald zehn Jahren angehöre, singt seit März eine junge Ukrainerin. Sie ist vor dem Krieg geflüchtet. Woche für Woche besucht sie die Chorproben, sie hat noch keine einzige verpasst. Und wenn ich sie frage, wie es ihr gehe, sagt sie immer: «gut!»