«Warm anziehen»
![Irène Dietschi, Journalistin.(Bild: A. Albrecht)](/fileadmin/_processed_/2/3/csm_sao_2015-12-09_750_0900_575856_Dietschi_a241678739.jpg)
Fragen Sie jemanden aus der Ü-80-Generation, wie er oder sie das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat: Diese Person wird Ihnen höchstwahrscheinlich präzise schildern, was sie in jenem Moment gerade gemacht hat, als das Kriegsende verkündet wurde. Genauso verhält es sich etwa mit 9/11 – die allermeisten von uns verknüpfen die damaligen Meldungen vom Zusammenbrechen der Twin Towers mit einer sehr subjektiven Erinnerung. Man war gerade in irgendwelchen Unterlagen vertieft, schwatzte mit einer Freundin oder sass im Auto.
Ein solches Schlüsselereignis war für mich die Bundesratswahl 2007. Die damaligen Bundes- rätinnen und –räte stellten sich alle zur Wiederwahl – unter ihnen SVP-Vertreter Christoph Blocher. Es war der 12. Dezember kurz nach zehn, ich befand mich in der Oltner Altstadt auf dem Weg zur Stadtbibliothek, als eine Passantin ihrer Freundin das Unfassbare zuschrie: «Blocher ist abge- wählt!» Ich weiss noch, wie ich durch die Bibliothekstür stürmte und freudig mit der Neuigkeit hinausplatzte. Der Mann aus Herrliberg, der nach meinem Empfinden dem Land schadete, war weg vom Fenster! Ersetzt von einer Regierungsrätin aus Graubünden. Der Bundesrat wurde weiblicher, von 2010 bis 2011 gar mit einer Frauen-Mehrheit.
Inzwischen hat sich das Rad wieder gedreht, nach der gestrigen Wahl erst recht. «Müssen wir uns jetzt freuen?», kommentierte unsere Mittlere sarkastisch. Wohl kaum: Bei der Frauenquote für grössere börsenkotierte Unternehmen ist die Landesregierung bereits am Zurückkrebsen; das rechtslastige Parlament wird keine frauenfreundlichen Entscheide treffen. Deshalb meine ich: Wir Frauen sollten uns warm anziehen – und zwischendurch Boxhandschuhe überstreifen.