«Swissness (2)»

Ich habe wie erwähnt einen lieben Nachbarn, der ein paar Kilometer nördlich des Rheins geboren ist und jetzt gern Schweizer werden möchte. Wenn er im Garten sitzt und für den Neubürgerkurs des Kantons Solothurn büffelt, gucke ich ihm über die Schulter, da kann icheine Menge lernen. Zum Beispiel steht unter Punkt 1.3. in zwei Spalten, welche Charaktereigenschaften den typischen Deutschschweizer auszeichnen. In der rechten Spalte steht, wie der Deutschschweizer so ist. In der linken steht, wie er eben nicht ist.

Der Deutschschweizer also ist (ich zitiere): «Zurückhaltend, verschlossen, bescheiden, perfekt, korrekt, ordentlich, freundlich, sympathisch, zuverlässig, gewissenhaft, traditionsbewusst, konservativ, arbeitsam, fleissig, überheblich, geldbewusst, sparsam.»

«Das ist ja furchtbar», sagte ich. «Willst du wirklich so werden? Wie wir? Überleg dir das nochmal.»

«Ich bin doch schon so», sagte mein Nachbar. «Wir Badenser sind vom Wesen her ja eigentlich Schweizer.»

«Das stimmt», sagte ich.

Dann lasen wir in der linken Spalte, wie der Deutschschweizer NICHT ist (ich zitiere): «Offen, aufgeschlossen, spontan, lebensfroh, locker, emotional, humorvoll, witzig, gastfreundlich,aggressiv.»

«Entsetzlich», sagte ich. «So möchte man eigentlich sein,nicht wahr?»

«So sind aber die Welschen»,sagte mein Nachbar.

«Wer sagt das?»

«Unser Kursleiter», sagte mein Nachbar. «Die Westschweizer sind so, wie die Deutschschweizer gern sein möchten.»

«Musst du das an der Prüfung so aufsagen?»

«Wenn ich bestehen will…»

«Dein Kursleiter ist ein Witzbold», sagte ich. «Wahrscheinlich ein Welscher.»

«Er heisst Studer.»

«Vielleicht solltest du dich in der Westschweiz einbürgern lassen. Als Welscher hättest du’s lustiger.»

«Ich will aber nicht ständig lustig sein», sagte mein Nachbar. «Von morgens früh bis abends spätlachen und Weisswein saufen - das wäre doch anstrengend.»

«Finde ich auch», sagte ich.«Man muss ja schliesslich auch mal was arbeiten.» Alex Capus

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