«Summertime»

Eins verstehe ich nicht: Immer wenn’s in Olten richtig schön wird, fahren alle weg. Das ganze Jahr über halten meine Mitbürger tapfer aus bei Nebel, Nieselregen und Langeweile, geduldig ertragen sie Schnupfen, Rheuma undNovemberschwermut; aber kaum brechen die sonnigsten und wärmsten Tage des Jahres an, an denen das Städtchen selig schwitzt und sich sündig in den Hüften wiegt - kaum fangen die Sommer-ferien an, setzen sich alle ins Auto oder ins Flugzeug und fahren irgendwo hin. Manche nehmen den Zug. Weg fahren sie alle. Fast alle.

Warum nur? Gewiss ist’s andernorts auch schön. Aber der Sommer ist so kurz, da will ich keine einzige Stunde im Flughafenterminal verbringen. Und keine vor dem Gotthardtunnel. Ich will mich nicht um Liegestühle balgen, mich nicht am Strand langweilen. Und nicht am Gelato-Stand Schlange stehen.

Nächsten Samstag, spätestens am Montag ist es wieder so weit. Frühmorgens erwacht man in Olten nicht mehr vom Strassenlärm, sondern von Vogelgezwitscher. Im Kaffeehaus sind die besten Tische frei. Im Freibad schwimmt man einsam seine Längen. An der Migros-Kasse ist man der einzige Kunde. Mittags hält man ein Nickerchen an einem kühlen Plätzchen. Nachmittags schlendert man über leere Trottoirs auf der Schattenseite der Strasse. Abends trifft man sich mit jenen Freunden und Nachbarn, die auch zu Hause geblieben sind, trinkt und lacht bis in die Nacht. Und manchmal denkt man an die anderen.Jene an den Stränden. In denHotels. In den Whirlpools und Cocktailbars.

Eins ist auch wahr: Würden die plötzlich alle zu Hause bleiben,wären die schönsten Tage nur noch halb so schön. Dann müsste man in der Migros wieder Schlange stehen, im Strandbad läge auf dem Wasser ein öliger Film von Sonnencreme.

Deshalb: Fahrt nur, liebe Mitbürger, amüsiert euch! Ich passe solange aufs Städtchen auf. Und freue mich, wenn Ihr im August wiederkommt.Alex Capus

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