Schnee von gestern
Wenn es draussen schneit, macht mich das glücklich. Schon als Kind konnte ich ganze Winternachmittage damit verbringen, auf der Kellertreppe zu sitzen und durchs Fenster dabei zuzuschauen, wie der Rasen vor unserem Haus immer weisser wurde. Im Gegensatz zu Regen ist bei Schneefall eine Veränderung, ein Fortschritt sichtbar. Als würde man dem Download-Balken auf dem Laptop zuschauen, wenn man eine Datei runterlädt. 94%, 95%, 95.6 % und so weiter. Das Gefühl, dass es vorwärts geht – Welt-Update in Kürze abgeschlossen!
Natürlich ist das Nonsens: Die Welt ist mit Schnee nicht besser als ohne. Höchstens ruhiger. Und wenn das Thermometer wieder ein paar Grad hochklettert, ist das vermeintliche Update auch schon wieder zu profanem Wasser geschmolzen. Oder noch schlimmer: Beim nächsten Einkauf watest du durch eisigen Pflotsch und fluchst, weil du den Kauf neuer Winterstiefel wieder zu lange hinausgezögert hast. Und sowieso: Ein Download ist irgendwann abgeschlossen. Schneien hingegen könnte es theoretisch ewig. Wann und warum entschied ich mich damals als Kind, vom Fenster wegzugehen? Aus Langeweile oder weil meine Mutter mich zum Abendessen rief?
So stöberten die Gedanken in meinem Kopf, als ich es mir kürzlich immer noch nicht verkneifen konnte, dem Schneien zuzuschauen. Die Ringstrasse aber wollte und wollte nicht weiss werden. Es war zum Verzweifeln. «Was, wenn es sich mit all unserem Bemühen, mit all unserem vermeintlichen Fortschritt im Leben, in Olten, auf der Welt ebenso verhält, am Ende nichts davon übrig bleibt ausser Pflotsch?», sinnierte ich schon ganz melodramatisch, als sich plötzlich meine Tochter an meinem Hosenbein hochzog, ihr kleines Gesicht ans Fenster drückte und begann die Scheibe abzulecken.