«Scheidung»
Kürzlich stand ich mit meinem Nachbarn Urs auf dem Kiesplatz und sprach über Zeit und Vergänglichkeit.
«Also ich finde, heute ist alles besser als früher», sagte ich.
«Alles?» fragte Urs.
«Alles. Ich sage nur: Zahntechnik. Waadtländer Weisswein. Die Schweizer Armee.»
«Ein paar Sachen sind aber auch schlechter geworden. Erdbeeren.Pfirsiche. Krankenversicherungen. Die Schweizer Armee. Die wissen ja nicht mal mehr, wo ihre Gewehre rumliegen.»
«Jedenfalls ist alles anders geworden. Alte Freunde sind weggezogen, die Spanische Weinhalle gibt’s nicht mehr.»
«Das ist aber eine Weile her.»
«Die einzige Konstante in meinemLeben ist der Stadtpräsident. Seit16 Jahren lächelt er mir jeden zweiten Tag aus dem Tagblatt entgegen und sagt: Glaubt uns doch, wir sind gut! Das gibt mir Halt im Leben, da fühle ich mich zu Hause. Was soll werden, wenn er zurücktritt?»
«Ach, es geht alles den Bach runter.»
«Ist dir auch aufgefallen, dass alle Leute sich scheiden lassen? Bei mir im Büro sind alle geschieden ausser mir. Ich komme mir schon ganz blöd vor, dass ich noch verheiratet bin. Beijedem kommt irgendwann die Frau nach Hause und sagt: Du Schatz, mir ist grad ein bisschen fad, lass uns was unternehmen. Darauf er: Hmhm, lass mich überlegen, ah ja, wir könnten doch scheiden, das macht man jetzt so. Und darauf sie: Au du, das isteine super Idee, dann machen wir Scheidungsparty und ich kann mittwochs wieder zum Jazztanz gehen! Und zack, sind sie geschieden.»
«Aber Weihnachten feiern siegemeinsam wegen der Kinder, undim Sommer reiben sie einander in der Badi den Rücken mit Sonnencreme ein.»
«Wenn sie einander wenigstens totschiessen würden. Das wäre immerhin etwas.»
«Wie geht’s eigentlich deiner Frau?»
«Ich geh mal heim und schau nach. Hoffentlich langweilt sie sich nicht.»
Alex Capus
