«Rote Hosen»

Dieser Tage jährt sich bekanntlich zum hundertsten Mal der Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ich habe ihn auch ein bisschen zu spüren bekommen. Am eigenen Leib. Und zwar 1968. Im Oltner Sälischulhaus.

Ich war kürzlich aus Paris zugezogen und kannte mich in den hiesigen Gepflogenheiten noch nicht recht aus. In der ersten Stunde des ersten Schultags betete die Klasse zum Aufwärmen das Vaterunser. Auf Deutsch. Sämtliche Kinder konnten das schon (woher nur?), aber ich nicht. Als in der Zehnuhrpause ruchbar wurde, dass ich ein Franzosenbübchen sei, trieben mich ein paar Jungs über den Pausenplatz und riefen:

«D’ Franzose,

Mit de rote Hose,

Und de gäle Finke,

Pfui! Die stinke!»

Verprügelt wurde ich nicht, weil ich ziemlich gross und ziemlich stark war. In unserer Klasse war nur Markus Flepp noch grösser und stärker. Aber der war, wie sich in den folgenden Jahren herausstellte, ein lieber und friedfertiger Freund.

Was nun den Spottvers betrifft, so war mir sein Sinn ein Rätsel; soweit ich wusste, trug in Frankreich kein Mensch rote Hosen oder gelbe Finken. Später habe ich dann erfahren, dass er auf die roten Uniformhosen französischer Soldaten zielte, welche diese zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch trugen.

Dass er fünfzig Jahre nach Kriegsende unter Oltner Schulkindern immer noch geläufig war, finde ich schon erstaunlich.

Übrigens war der Vers auch im deutschen Rheinland und im Badischen gebräuchlich:

«D’ Franzose,

mit der rote Hose,

und der blaue Jacke,

ich schlan der e paar an de Backe!»

Eine etwas freundlichere Version war in Magglingen ob Biel in Gebrauch, wo die Schweizer Schriftstellerin Laure Wyss 1916-1918 heranwuchs. Laut ihren Lebenserinnerungen rief die dortige Jugend den Franzosen, die im Grand Hotel interniert waren, hinterher:

«D’Franzose

Mit de rote Hose,

Mit de gäle-n-Epolette

Ässe gärn e-n-Omelette.»

Das stimmt, soweit es mich betrifft. Am liebsten aus Freilandeiern. Und mit Salz, Pfeffer und fein gewürfelten Tomaten.Alex Capus

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