Rossbollen
Mein Vater sitzt auf seinem gewohnten Platz im Wohnzimmer und sinniert. «Die Zeiten haben sich schon geändert», hebt er unvermittelt an. «Früher im Gäu, als die Bauern raus aus dem Dorf auf die Felder fuhren, hatten sie keine Traktoren, sondern Pferde», erzählt er. «Und die hinterliessen dann ihre Rossbollen auf der Strasse.»
Ich weiss, was als Nächstes kommt, denn mein Vater hat es schon oft erzählt: «Und ich habe die Rossbollen dann jeweils aufgelesen.» An diesem Punkt ist die Geschichte normalerweise zu Ende, doch heute entgegne ich: «Du warst halt schon als Bub sehr hilfsbereit.» Da beginnt mein Vater zu lachen und klopft sich auf die Schenkel. «Nein, ich musste! Mein Mutti brauchte den Rossdung doch!» Ungläubig starre ich ihn an.
Da mischt sich meine Mutter ein. «Wir mussten als Kinder auch den Pferden hinterherkehren, wenn die Fuhrwerke vorbeifuhren», sagt sie. «Aber meistens war Frau Gössi im Erdgeschoss schneller als wir.» Frau Gössi war die Hausmeisterin des Miethauses in Schwyz, wo meine Mutter aufgewachsen ist. Hinter dem Haus war ein riesiger Pflanzplätz. Der wurde von den Frauen regelmässig mit Rossbollen gedüngt, genauso wie der Bauerngarten meiner Grossmutter in Kestenholz.
Pferdeäpfel als wertvolles Element der Kreislaufwirtschaft, als Gold gar für die Selbstversorgung! Und heute ärgern sich alle nur darüber. Sei’s im Quartier oder auf Waldspazierwegen, von den Hauptstrassen ganz zu schweigen. Liegengebliebener Pferdemist sei «in der Szene ein heikles Thema», stand neulich im OT. «Uns geht’s zu gut», sage ich zu meinen Eltern. Mein Vater schaut mich skeptisch an. «Deinem Pflanzplätz geht es aber nicht so gut», sagt er. «Dem würden ein paar Rossbollen nicht schaden.»