«Römische Ziegel»

Heute wollen wir uns mal angucken, mit welchem Selbstbewusstsein einEisenbahnerstädtchen wie Olten sein historisches Erbe pflegt. Am Montag letzter Woche war’s, als der Bagger für den neuen Kirchplatz ein erstes Loch zwischen Stadtkirche und Altstadteingang aushob. Als ich um neun Uhr zufällig vorbei kam, stand eineDame von der Kantonsarchäologie in der Grube und schabte mit einer Kelle an einer dünnenTerrakottaschicht.

«Was ist das?» fragte ich.

«Der letzte Rest von Römisch-Olten», sagte sie. «Römische Ziegel. Keine grosse Sache, aber immerhin. Vielleicht eine Feuerstelle.»

«Aha», sagte ich und schaute in die Grube.

Da kam der Polier der Baustelle vorbei und machte ein duldsames Gesicht.

«Ich bin von der Kantonsarchäologie», sagte die Dame. «Man hat Sie informiert, dass ich heute komme, nicht wahr?»

«Eigentlich nicht», sagte derPolier.

«Das ist unmöglich», sagte die Dame.

Der Polier schwieg schicksals-ergeben.

«Wann wollen Sie hier weiterarbeiten, in zehn Minuten?»

«Das nicht gerade», sagte derPolier. «Aber in zwanzig Minuten schon.»

«Dann hole ich jetzt meine Kamera», sagte die Dame. «Wir wollen das wenigstens dokumentieren.»

Zwanzig Minuten später war der Bagger bei der Arbeit, von derrömischen Feuerstelle war nichts mehr zu sehen.

So geht die Eisenbahnerstadt mit ihrer Historie um. Ich wage zu behaupten, dass das in der Aristokratenstadt Solothurn ganz anders gelaufen wäre. Dort hätten die gepuderten Zöpfe den Polier kurz und streng angeguckt, dann hätte sich der getrollt mit seinem Bagger. Und um die römischen Ziegel wäre ein Mausoleum aus Kristallglas errichtet worden.Bezahlt mit dem Geld der Oltner Steuerzahler. Alex Capus

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