Recht auf Unvernunft
Kafi im Ring oder Frühstück beim Vater in der Altersresidenz gibt’s nur noch gegen Zertifikat. Wer das nicht hat, bleibt vor der Tür. Einfacher wäre das Leben, wären alle geimpft! Doch die Anzahl Geimpfter in der Schweiz ist tief. Corona polarisiert, spaltet Familien, Freundschaften und unser Städtchen. Wie viel Druck soll und darf der Staat ausüben, um die Impfquote zu erhöhen und die prekäre Situation in unseren Spitälern zu entlasten?
Die Antwort auf die Frage ist nicht einfach, treffen doch zwei grundlegende Rechte aufeinander: der Anspruch, im Notfall die medizinisch notwendige Behandlung zu erhalten, und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Denn Impfen, ja schon das Einführen eines Wattestäbchens in die Nase, sind Eingriffe, die wir gegen unseren Willen nicht über uns ergehen lassen müssen. Für mich als Geimpftem scheinen die Argumente der Impf-, Test- und Zertifikatsskeptiker etwas skurril.
Aber in einer freiheitlichen Gesellschaft gibt es im Rahmen der Zumutbarkeit auch ein Recht auf Unvernunft, verbunden mit der Konsequenz, Gesundheitseinrichtungen überproportional zu beanspruchen. Wäre das anders, müssten wir Fussballspielen, Töfffahren und Rauchen ebenso verbieten wie zu viel essen und trinken.
Von Jean-Jacques Rousseau stammt das Zitat «Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will». Wir Oltnerinnen und Oltner sind gefordert: Brücken bauen, das Gespräch suchen, uns – auch wenn es etwas mühsam ist – in Respekt üben und von gesundem Menschenverstand leiten lassen. Denn Andersdenkende auszugrenzen ist dem Oltner Freiheitsgeist nicht würdig.