«Räuber und Poulet»

Der Frühling ist wieder da, die Kinder kommen aus den Häusern und spielen auf der Strasse die gleichen Spiele, die wir vor ihnen spielten, und vor uns unsere Eltern und Grosseltern. Bei uns an der Elsastrasse besonders beliebt ist zur Zeit jenes Spiel, beim dem sich die Kinder in zwei Gruppen aufteilen - in die Räuber, die flüchten, und die Ordnungshüter, die sie jagen.

Bei Fontane und Keller kann man nachlesen, dass das Spiel schon im 19. Jahrhundert unter dem Namen «Räuber und Gendarm» bekannt war. Ob es bei Gotthelf «Räuber und Landjäger» hiess, weiss ich nicht.

Aus eigener Erinnerung hingegen kann ich bezeugen, dass es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts «Räuber und Poli» hiess, zumindest im Oltner Säliquartier. Es littdamals unter der strukturellen Schwierigkeit, dass die antiautoritären 68er Kinder immer nurRäuber und keinesfalls Polizisten sein wollten.

Diese Rekrutierungsschwierigkeiten gibt es heute nicht mehr, die Kinder auf der Elsastrasse spielen genauso gern Ordnungshüter wie Gesetzesbrecher - Hauptsache, man kann mitspielen und findet ein Plätzchen in der Gesellschaft. Meine Kinder nennen das Spiel nicht mehr «Räuber und Poli», sondern «Räuber und Bulle», was wohl auf die deutsche Immigration zurückzuführen ist.

Nun hat aber mein Fünfjähriger den Namen wieder eingeschweizert und sagt «Räuber und Poulet». Falls sich das durchsetzt, können wir uns bequem zurücklehnen und auf die nächste Generation von kleinen deutschen Secondos warten, die den Namen wieder germanisiert und «Räuber und Hähnchen» sagt.

Was dann die kleinen Schweizer wiederum daraus machen und wo das alles enden soll, weiss ich nicht. Es ist auch egal. Wichtig ist, dass die Kinder draussen auf der Elsa-strasse zusammen spielen. Und dass jedes sein Plätzchen findet.

Alex Capus