«Nachtwache»
«Knock, knock.» Sanft weckt uns die Stimme des Australiers Ben. Mitten in der Nacht, mitten im Nichts. Es ist taghell. Wir von hellwach weit entfernt. Das ändert sich, denn für die nächsten anderthalb Stunden liegt das Schicksal eines bunten Dutzends Menschen in unseren Händen. Ben und Jess überreichen uns vor dem Zelt Feldstecher und Uhr, wir wünschen guten Schlaf. Nun heisst es Ausschau halten nach dem König der Spitzbergen. Wir wandern umher, auch um Zeit und Kälte zu überwinden. Unser Blick durchstreift die Landschaft, vor allem zum Nordenskiöldbreen hin, ein suchender Gletscher. Wir suchen am Horizont nach einem sich bewegenden weissen Punkt. Sollten wir was sehen, sind Katja und Vladimir aufzuwecken. Die Deutsche und der Russe würden entscheiden, was zu tun wäre. Auch wenn sich der weisse Punkt schliesslich als Rentier entpuppen sollte. Respekt ist die Mutter in der Porzellankiste von Wildnis und Natur. Unsere Guides haben beide ein Gewehr und Schreckschusspistolen mit. Ohne bewegt man sich nicht ausserhalb des Hauptortes Longyearbyen. Die Szenerie wirkt surreal, Landschaft und Mitternachtssonne, Situation und Aufgabe. Weg von Daheim, fern vom Gstürm, Reduktion pur. Nach uns halten Oonagh und Paul aus England die Augen offen. Niemand will im Schlaf von einem Eisbären überrascht werden. Tags darauf ist er da. Unverhofft entdecken wir ihn am Fusse einer Gletschermoräne, einen Vogel verspeisend. Unglaubliches Glück. Unglaublich nah. Der ganze Kajaktrupp verstummt, gross ist die Ehrfurcht. Glücklicherweise sitzen wir jetzt im Kajak. Am Sinn der Wache zweifelt niemand mehr. Klar kann er auch schwimmen, wir aber paddeln schneller...