Mit Goethe auf den Langlaufskis
Dass Johann Wolfgang einst in dasselbe Sitzpolster gefurzt hatte, auf dem ich nun sass, ist sehr unwahrscheinlich. Verbrieft ist aber, dass der Dichterfürst im November 1779 in eben diesem Lokal genächtigt hatte, in dem wir mit Messer und Gabel hantierten. Die Goethe-Stube des «Croix d’Or et Poste» in Münster atmet tatsächlich den Geist längst vergangener Zeiten. Beim Essen kamen auch unsere Jungen auf den grossen Literaten zu sprechen. Er sage ihnen nicht viel, gaben sie zu, wussten aber, dass «Faust» aus Goethes Feder stammt. Das ist doch schon mal was.
In Zeiten von Deutsch-Rap, Whatsapp-Gestammel und abnehmendem Interesse an der gerechten Verteilung von Kommas auf einen Satz wird die Hürde hin zu Sprache und Denke der damaligen Zeit auch nicht tiefer. Dabei wäre der junge, emotional geladene Werther heute vielleicht ein Influencer. Und grosse Künstler sind grosse Künstler, weil deren Themen und Werte zeitlos sind, auch wenn die Hülle um den Inhalt mit der Zeit an Strahlkraft verlieren sollte.
Nach der Nacht im Goms reiste Goethe damals Richtung Furka weiter. Das war ein kleines Abenteuer, weil auf dem Pass bereits eine beachtliche Menge Schnee lag. Angespannt, aber mutig, nahmen er und seine Begleiter den Weg über den Pass in Angriff, denn «die Seele des Menschen» braucht «neben der Kontemplation auch die Herausforderung», schrieb er. Recht hat er, dachte ich tags darauf, als ich auf der Loipe mit Schneefall und Gegenwind kämpfte, und sich die Konturen allmählich im grossen Weiss auflösten. Wunderbar war das und trotz Anstrengung glücklich machend. «Kontemplation und Herausforderung» könnte ein gutes Motto sein, dachte ich. Auch im 21. Jahrhundert.