«Leb wohl, Jim»

Manchmal tröstet mich der Gedanke, dass dasNaheliegendste zum Entlegensten führen kann. Vor einer Weile lud mein alter Physiklehrer vom Gymnasium mich zum Abendessen ein, bei dem ich vor 32 Jahren Maturagemacht hatte (Note 3). Er wohnt in Aarburg, es gab Wildschwein-Ragout.

Unter den Gästen war ein schlaksiger Amerikaner namens Jim Webb. Er war etwa im Altermeines Lehrers, und er trug Jeans, Western-Hemd undKroko-Stiefel.

Nach dem Essen verzogen Jim und ich uns in eine Ecke desGartens, um seine Camel ohne Filter zu rauchen. Es wurde eine lange Nacht. Jim war als Soldat in Vietnam gewesen, dann alsBlumenkind in San Francisco, dann als Schmuggler im Golf von Mexiko. Wir tranken Quittenschnaps und rauchten eine zweite Packung Camel. Wir wurden Freunde. Beim Abschied war es ausgemacht, dass ich Jim in den Sümpfen Floridas besuchenwürde.

Am nächsten Morgen blockierte ich zehn Tage in meiner Agenda und buchte einen Flug nachMiami. Vier Monate vergingen. Acht Tage vor der Abreise erhielt ich die Nachricht, dass Jim gestorben sei. Lungenkrebs, nach 60 Jahren Camel. Ich flog trotzdem hin und kam gerade rechtzeitig zur Beerdigung.

Und jetzt, da ich dies schreibe, sitze ich vor Jim Webbs Familiengrab auf Chokoloskee Island -einer kleinen Insel im Golf von Mexiko, welche die Indianer aus Austernschalen aufgeschüttet haben. Aus Austernschalen. Schale für Schale. Über Jahr-hunderte.

Schluss

Alex Capus

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