Lange Nächte

Daniel Kissling, Kulturschaffender und Barkeeper. (Bild: M. Isler)
Daniel Kissling, Kulturschaffender und Barkeeper. (Bild: M. Isler)

Heute morgen um viertel nach sechs, meine Träume waren längst noch nicht fertig geträumt, hat mich meine Freundin aus dem Bett geschmissen. Der Grund kein schiefer Haussegen und auch kein schreiendes Baby, sondern corona-bedingt: Home Office. Und wenn um 7 Uhr eine Sitzung angesetzt ist, verwandelt sich unser Schlafzimmer halt schon dann zum Büro.

Ich bin ein Nachtmensch. Ob das Nachtleben mich dazu gemacht hat oder ich viel eher deswegen überhaupt im Nacht-leben angefangen habe zu arbeiten? Auf jeden Fall haben 10 Jahre in dieser Branche ihre Spuren hinterlassen. Auch an «freien» Abenden komm ich selten früh ins Bett. Keine Anrufe, keine Nachrichten und auch die dringende Mail an XY wird weniger dringend, wenn man weiss, dass sie sowieso erst am nächsten Morgen angeschaut werden wird. Wenn die Welt schläft, will sie nichts von einem. Nachts kannst du selber entscheiden, worauf du dich konzentrieren willst.

«Fertig Nachtschicht!», prophe- zeiten die Leute mir im Hinblick aufs Baby. Sie sollten recht behalten, doch nicht deswegen. Mit meiner Tochter verträgt sich mein Rhythmus gar nicht schlecht. Nach ihrer Schlafenszeit kann ich ungestört arbeiten und wenn sie der erste Nachthunger aufweckt, bin ich noch gar nicht ins Bett gegangen, am Morgen starten wir gemeinsam gemütlich in den Tag.

Dafür verfestigt der Virus beziehungsweise die Massnahmen dagegen den bürgerlichen Tagesablauf. Um 23 Uhr heisst es landesweit Lichterlöschen. Wer danach noch auf der Strasse ist, denen haftet schon beinahe etwas Verruchtes an und begegne ich auf dem Heimweg von der Bar einer anderen Person, nicke ich ihr verschworen zu. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich danach in meine Wohnung. Zumindest Freundin und Kind sollen ihre Träume fertig träumen können.

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