Lama-Trekking
Die Geschichten ähneln sich jedes Jahr, und wir er-zählen sie immer wieder gerne. Geschichten aus Kinder- und Jugendtagen. Geschichten von Aufschneidern, die nach einem jugendlichen Höhenflug immer tiefer gefallen sind. Geschichten von grauen Mäuschen, die sich als Erwachsene aufgemacht haben, um die Welt zu erobern. Geschichten von jähzornigen Lehrern und notorisch schlecht gelaunten Hauswarten. Wir kramen diese Stoffe hervor, wenn wir uns einmal im Jahr zu dritt für ein Wochenende auf Wanderschaft begeben.
Dem Faden aus vergangenen Zeiten folgend landen wir in der Gegenwart. Wir staunen über das, was gewesen und geworden ist und blicken auf unser Leben. Auf Arbeit und Familie. Auf Hoffen und Bangen. Auf Wünsche und Erreichtes. Wir sprechen, wandern eine schöne Weile und machen alsbald wieder Pause, um den Erzählstrang erneut aufzunehmen. Lang wird dadurch der Weg zum Ziel, meist deutlich länger als auf dem Wegweiser angekündigt. Aus der Wanderung wird ein Lama-Trekking dreier Männer mittleren Alters. Uns ist es egal. Denn hier geht es nicht um Leistung, hier geht es um ganz anderes. Indem wir erzählen, zuhören und Fragen stellen, geben wir uns Halt und setzen Bojen.
Unlängst waren wir drei im Tessin unterwegs. Unser Ziel: Die Campo-Tencia-Hütte am Fuss des «höchsten» Tessiners. Türkisblaue Seen, unzählige Steinblöcke und des Nachts ein schier endloses Sternenmeer machten uns leicht. Nach zwei Tagen hatten wir die Rezeptur für ein gutes Leben beieinander: ein Pfad, der ansteigt, aber zu bewältigen ist. Freunde, die dich herausfordern, dich zum Lachen bringen und dich stützen. Und am Abend eine dampfende Polenta auf dem Teller.