Kostbare Nähe
Was werden wir aus Corona lernen, sollte ich mir im Home-Office überlegen. Also was bleibt dereinst, wenn das alles überstanden ist, an Gutem von der Pandemie übrig, als «Kollateralnutzen» sozusagen? «Neue Massstäbe bei der Impfstoff-Entwicklung», notiere ich, oder «weniger Co2-Ausstoss dank Zoom.»
In diesem Moment tanzt die Jüngste ins Zimmer. Aus ihrem portablen Lautsprecher röhrt es in voller Lautstärke, «Skandal um Rosie» - der Gassenhauer von 1981. «Ihr hattet ja coole Musik!», ruft sie, und ihre blondierten Rattenschwänze hüpfen wild im Takt der Spider Murphy Gang. «Nähe», denke ich, – «was übrig bleiben wird, ist die Kostbarkeit von Nähe.» Die Jüngste ist zwei Wochen lang krank gewesen. Kein Covid, wie nach zweimal Testen feststand, trotzdem musste sie zu Hause im Bett bleiben. Für uns Eltern war es eine kost-bare Zeit. Weil wir die Nähe unseres Nesthäkchens genossen haben.
Vor ein paar Tagen hat sich in den sozialen Medien ein Bild verbreitet: Es zeigt einen US-Arzt in Schutzmontur, der einen alten, gebrechlichen Mann umarmt; einen Covid-Patienten auf der Intensivstation. Die Aufnahme entstand an Thanksgiving, und sie symbolisiert die Pandemie in ihrer ganzen Erbarmungslosigkeit: Wie gefährlich menschliche Nähe geworden ist, weil man sich mit dem Virus anstecken kann – und wie sehr wir gleichzeitig diese Nähe brauchen.
Nun steht Weihnachten vor der Tür – das Fest der Liebe. Wie umgehen mit dem Pandemie-Dilemma? Nur die wichtigsten Beziehungen pflegen, Vorschriften einhalten, draussen feiern, auf Weihnachtsshopping und Singen verzichten – so rät Marcel Tanner von der Covid-Taskforce des Bundes.
Und mögliche Nähe der Liebsten auskosten als ein Geschenk, denke ich für mich.