Jetzt
Warten war für mich als Kind normal. Weihnachten, Erdbeeren im Frühjahr, ein Fahrrad oder der erste Flug wurden mit viel Freude erwartet. Heute ist fast alles immer verfügbar. Weihnachtsdeko ab September, Erdbeeren im Dauerangebot, Fliegen völlig charmelos und auf etwas hinsparen passé. Bedürfnisse befriedigen, alles sofort und jetzt lautet die Maxime der Instantgesellschaft. «Jetzt», verbunden mit einer langen Wunschliste, wird zum politischen Programm, auch in Olten.
Klar ist es das Privileg junger Menschen, ungeduldig zu sein, zu fordern und die Behäbigkeit des Systems zu hinterfragen. Dem «Jetzt» wohnt die Kraft des Neuen und des Aufbruchs inne. Das «Jetzt» steht als Momentaufnahme aber immer zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Zeit ist eine Brücke, auf der wir uns als Menschen begegnen. Sehe ich zum Beispiel all die Projekte, die man in Olten angehen will, kriege ich Kopfschmerzen. Nicht weil die einzelne Idee nicht gut wäre. Vielmehr weiss ich als älterer Zeitgenosse um die Brüchigkeit unseres Wohlstands. Ich habe knappes Geld und Hypothekarzinsen von fast 7 Prozent erlebt und entsprechend Respekt vor Schulden. Man muss investieren, aber mit Augenmass und nie in Konsum.
Eine prägende Erfahrung der letzten Monate war, wieder warten zu lernen und sich auf etwas zu freuen. Wir könnten uns als Oltnerinnen und Oltner in dieser Tugend etwas üben, Projekte priorisieren, Notwendiges von Wünschbarem trennen und so symbolisch auf den Erdbeergenuss im Winter verzichten. Auch das wäre Ausdruck nachhaltiger Denke. Von der französischen Philosophin Simone Weil stammt die Weisheit «Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten». Soweit müssen wir ja nicht gehen.