Hinter dem Grau
Weg. Kein Hügel weit und breit. Wenn morgens graue Schwaden die Stadt umhüllen, stelle ich mir dahinter gern das Nichts, das platte Land vor. Ich träume mir die Hügel weg und ein langes U-Bahnnetz her. Das erste Mal vor ein paar Jahren, in einem Anfall von Heimweh. In der Zeit lief ich auch langsamer, wenn Leute hinter mir Hochdeutsch sprachen. Erholsam war die klare Sprache für mein noch untrainiertes Schweizerdeutsch-Ohr. Damals, etwa ein dreiviertel Jahr nach meiner Einreise mit One-Way-Ticket, freute ich mich auch auf den Herbst und die Illusion vom Norden im Süden.
Dann wurde Olten für mich an manchem Herbstmorgen zur Grossstadt. Hinter dem Nebel wurde der Bahnhof zum Hafen, die Aare zur Elbe und der Duft von Franzbrötchen lag in der Luft. Und während ich mir mit einem Blick durchs Fenster dampfendes Wasser über den Teebeutel laufen lasse, stelle ich mir auch in diesem Herbst an einem grauen Sonntagmorgen mal vor, ich würde am Nachmittag zum Sonntagskuchen mit der Familie durchs standhafte Grau fahren. Doch in Olten fühlt sich das Grau nicht so wohl wie im Norden. Noch vor der Kuchenzeit verzieht er sich, der dichte Dunst. Die Sonne erobert ihren Platz, langsam und tiefstehend. Ausgeträumt. Es ist nicht die Elbe, die durch das Grau rauscht. Der Bahnhof ist nicht der Hafen und hier wartet auch keine U-Bahn Richtung Schanze. Stattdessen strahlen vor dem stahlblauen Himmel die Jurahügel in ihrer ganzen Farbenpracht. Hinter dem Nebel ruht der Riese, hier wartet ein bunter Herbst inmitten der Hügel, die ich vor ein paar Jahren noch Berge nannte.
Ich bin dann zwar ein kleines bisschen froh, dass die Kirchgasse nicht die Reeperbahn ist, aber denke auch an meine Mutter, die bei meinen Gedankenreisen gern Stefan Gwildis zitiert, der die Hansestadt ganz treffend besang: «Nur hier zuhaus` gibts dieses wunderschöne Grau.»