Grosszügigkeit im Regen

Jacqueline Straub, Journalistin, Theologin und Buchautorin.
         
         
            
               (Bild: Melanie Wetzel)
Jacqueline Straub, Journalistin, Theologin und Buchautorin. (Bild: Melanie Wetzel)

Ich schaue viel zu wenig auf den Wetterbericht. Ich verlasse mich irgendwie immer darauf, dass das Wetter noch das gleiche ist, wenn ich aus dem Haus gehe und wieder heim komme. Meistens funktioniert das auch sehr gut. Doch immer wieder merke ich, dass der kurze Blick auf die Wetterapp einiges erleichtern würde. So bin ich mal viel zu warm angezogen in die Berge gefahren und schleppte dann den ganzen Weg meine dicke Jacke.

Im vergangenen Jahr aber wurde mir mein Nicht-informieren über das Wetter zum grossen Verhängnis. Ich war in Olten in einem Sommerkleid unterwegs. Als ich losging, war es sehr warm. Eine Stunde später – ich war gerade wieder auf dem Heimweg – begann ein heftiger Regenschauer. Ich blieb einen kurzen Moment unter einem kleinen Dach stehen und überlegte, was ich machen sollte. Es gab zwar in der Nähe eine Bushaltestelle. Doch der nächste Bus kam erst in 20 Minuten. Ich musste aber los.

Also beschloss ich, durch den Regen zu laufen. Es war eiskalt. Ich zitterte in meinem Sommerkleid und war schon nach wenigen Metern triefend nass. Eine Frau kam mir entgegen, schaute mich an, und gab mir, ohne was zu sagen, ihren Regenschirm. Ich sagte, dass ich diesen nicht annehmen könne. Denn ich wollte nicht, dass sie nass wird. Sie sagte in gebrochenem Deutsch, dass sie gleich um die Ecke wohne, lächelte mich an und lief weiter. Ich habe eine unendlich grosse Dankbarkeit gespürt. Den Regenschirm habe ich seither in meinem Rucksack – er erinnert mich jedes Mal an die Grosszügigkeit dieser Frau und diese kurze Begegnung im strömenden Regen. Und wenn mal jemand einen Regenschirm brauchen sollte, werde ich ihn weiterverschenken. Denn es sind manchmal die kleinen Gesten anderer, die dazu anregen, selbst Gutes zu tun.

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