...gehört schon zum Establishment

Irène Dietschi, Journalistin.
Irène Dietschi, Journalistin.

«Wie war’s?», fragt der Älteste, am Küchentisch sitzend und Müesli löffelnd. «Sehr schön», antworte ich. «Viele Leute, und der Stadtpräsident hat gestrahlt wie ein Weihnachtsbaum. Die Dichterdichte der Stadt sei einmalig – global gesehen.»
Es ist Samstagnachmittag, und ich bin soeben aus Olten zurückgekehrt, wo punkt 12 Uhr in der Kirchgasse der «Schweizer Schriftstellerweg» eröffnet worden ist. «Und wie funktioniert denn dieser «Schriftstellerweg»?» Ich: «Mit Geschichten von Franz Hohler, Alex Capus und Pedro Lenz – von ihnen selbst gelesen, du kannst sie auf dein Handy runterladen.»

«Touren mit zeitgenössischen Literaten!», schnaubt der Älteste und legt den Löffel weg. «Haben die noch nie von der Gruppe Olten gehört? Ist denen das literarische Erbe völlig egal?» Ich entgegne, mir gefalle das Konzept von Olten Tourismus ganz gut, ausser dass es ziemlich männerlastig sei, doch mein Sohn kommt in Fahrt: «Die Autoren der Gruppe Olten waren noch politisch engagiert – die hätten sich nie von einem Touristenverein vereinnahmen lassen!» «Das waren 68er!», erwidere ich, «es waren ganz andere Zeiten.» Er: «Aber ein Schriftsteller gehört nicht zum Establishment. Man kann nicht die Gesellschaft kritisieren und sich gleichzeitig vor den Karren spannen lassen.» Ich sage nichts. Mir geht das alberne Bild durch den Kopf, als das Schriftsteller-Trio vor der Stadtkirche das symbolische Band durchschneidet, flankiert von den Anzugträgern.

«Na ja», antworte ich schliesslich. «Ganz so angepasst sind die nun doch nicht.» Franz Hohler hat vor dem Hübelischulhaus gesungen, Alex Capus trug ein Ringel-
T-Shirt, und Pedro Lenz sagte, er sei «em Fau» kein Tour-Guide.

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