«Freiheitsbaum»

 

Der berühmteste Baum in Olten ist die schlanke Schwarzpappel, die seit Menschengedenken neben der alten Holzbrücke himmelan strebt. Sie bildet einen hübschen Kontrast zum gedrungenen Altstadtring und zur Holzbrücke, die ihrer Natur gemäss ebenfalls horizontal verläuft.

Es gibt keine Ansichtskarte der Altstadt und kaum eine historische Oltner Ansicht, auf der der Baum nicht zu sehen wäre. Die Pappel stand schon vor zwanzig und vor fünfzig und vor zweihundert Jahren da. Manchmal standen zwei oder drei Pappeln da, dann wieder nur eine, so wie jetzt.

Diese eine Pappel soll nun aber gefällt werden. Das hat die Altstadtkommission beschlossen, deren Daseinszweck es sonstbekanntlich ist, die Altstadt so zu erhalten, wie sie schon immer ausgesehen hat. Die Pappel soll weg, weil sie mit ihrem Gewicht ein Ufermäuerchen kaputt zu machen droht, das noch älter ist als die Pappel selbst.

Die Sache ist nun aber die, dass die Schwarzpappel nicht irgendein vom Wind hergeblasenes Grünzeug ist, sondern ein Symbol der Freiheit. Die napoleonischen Truppen haben sie als Wegmarke und Freiheitsbaum in die Schweiz gebracht, als sie das alte Aristokratenregime stürzten und dem Untertanenstädtchen Olten die Freiheit brachten.

Die Oltner Citoyens habendamals die Franzosen begeistert begrüsst, seit 200 Jahren stehteine Pappel vor der Altstadt.Wer sie gepflanzt hat, weiss man nicht. Sicher ist, dass vor 200 Jahren die Oltner Holzbrücke von den Berner Feudaltruppen niedergebrannt wurde, und dass die Franzosen den Oltnern eine neue Holzbrücke spendierten.

Das sollten wir bedenken, wenn wir nun diese Pappel fällen. Vielleicht könnte man das Mäuerchen verstärken und dann wieder eine Pappel setzen. Erstens sollten wir die Freiheit hochhalten. Zweitens braucht unser Stadtbild etwas Vertikales, solange die Baubehörde kein Hochhaus zulässt - zumindest keins, das höher wäre als das Stadthaus - und stattdessen lieber die letzten noch verbliebenen Wiesen und Weiden zubetoniert.

Alex Capus

 

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