Engpässe (2)
Montagmorgen, kurz vor vier. Das Kind schreit oder meckert vielmehr, kein Grund zur Unruhe. Die Nächte, in denen es durchschläft, sind noch rar. Ich stehe auf, um den Schoppen zu machen, doch in der Küche kein Licht. Ich versuche es im Gang, im Bad, nichts. Es bleibt dunkel, und das Kind wird lauter. Seine Mutter nimmt es auf den Arm, während ich die Sicherungen im Keller checken gehe.
Von einer möglichen Stromknappheit liest man in der Zeitung allenthalben. Die Sache ist kompliziert, es geht um Netzwerkstabilität und -auslastung, um Stromhandel und Stromabkommen. Und um Strom-Unabhängigkeit als Lösung, ob in Form neuer Kernkraftwerke oder Solarzellen auf jedem Dach.
Zweifellos hilft Unabhängigkeit in vielen Notlagen, nicht nur beim Strom. Wer sein Gemüse selber anbaut, muss fürs Ratatouille nicht einkaufen gehen. Doch was ist mit der Nachbarin in der Mietwohnung, die keinen Garten hat? Gerade wir Schweizerinnen und Schweizer neigen dazu, Unabhängigkeit als absolutes (Erziehungs-)Ideal zu überhöhen. Doch in einer Gesellschaft, in der jede und jeder nur für sich selber schauen soll, gehen zwangsweise Menschen unter. Und landen die Zucchetti, die man selbst nicht essen mag, erst noch im Müll.
Meiner Tochter, wenn sie dann mal soweit ist, lerne ich darum lieber andere grosse Worte. Kooperation zum Beispiel oder Solidarität. Denn wer gemeinsam Zucchetti anpflanzt, wer gemeinsam kocht, ist ebenfalls niemandem etwas schuldig und wer das, was zu viel war, danach der Nachbarin rüberbringt, hat gute Chancen, dass einem selber wer mit Essen aushilft. Oder mit solarerhitztem Wasser für den Schoppen des Kindes morgens um vier.