Eine Familie
Olten, Zürich, Frankfurt, Newcastle. Es ist eine lange Flugreise, die uns vor zwei Wochen zu meiner Schwester führt. Acht Stunden sind wir unterwegs, bis wir im englischen Norden ankommen, bis ich meine Geschwister nach vier Jahren wieder in die Arme schliessen kann. Mein Bruder und meine Eltern reisen über zwei Tage mit Bahn und Fähre aus München und Hamburg an. Dass zwischen uns allen viel Stiefverwandtschaft steckt, war mir schon früh egal. Meine Geschwister und ich, wir waren vier, sieben und elf, als wir uns kennenlernten. Doch das «Stief-» verschwand schnell aus unserem Wortschatz, zu viel gäbe es zu erklären, zu irrelevant war das Attribut für unsere Verbundenheit. Mittlerweile sind wir einundzwanzig Jahre älter, und die jüngste unter uns hat Ja gesagt.
Für mich war es 2022 die elfte Hochzeit. Nach zwei Jahren Pandemie gab es viel nachzuholen. «Würdest du den Namen deines Partners annehmen?», stellte sich in manchen Runden die Frage. Über die Tische tanzten Antworten wie «Ja, aber er gefällt mir eigentlich gar nicht» oder «Aber eine Familie muss doch den gleichen Namen tragen». Und ich überlegte. Meine Mama trägt den Namen ihres ersten Mannes, ich auch, und den ihres jetzigen Mannes, ich nicht. Ich trage damit den Nachnamen der Familie meiner Schwester, also Halbschwester. Meine anderen beiden Halbschwestern trugen den Namen ihrer Mutter, haben mittlerweile aber neue angenommen. Es ist ein Patchwork-Wahnsinn, der nur schwer zu erklären ist, doch mich vor allem eines lehrte: Die wahren Zeichen für Verbundenheit und Zugehörigkeit sind die Freudentränen beim Wiedersehen nach vielen Jahren und Abschiede, die schwer fallen.
Und so egal der Nachname dabei ist, so egal ist auch das «Stief-» und «Halb-» vor all meinen Geschwistern, die für mich einfach nur das sind: Geschwister. Auch wenn sie nun englische Nachnamen tragen.