«Die Welt ist gross»

Manchmal werde ich beschimpft im Städtchen, weil ich freche Sachen sage über die Mächtigen im Ort. Es gibt Lehrer, die mir den Stinkefinger zeigen, weil ich es nicht gut finde, dass sie mitihren Autos die Pausenplätzezuparken. Oder es kommt vor, dass mich die Gattin des Stadtpräsidenten über die Strasse mit Titeln eindeckt, die ich als höflicher Mensch nicht wiedergeben will. Und dann gibt es mir gänzlich Unbekannte, die michfragen, für wen ich micheigentlich halte.

Natürlich frage ich mich das zuweilen auch. Dann gehe ich nach Hause, kratze mich am Schädel und giesse mir ein Glas Wein ein. Na, ich bin der Alex Capus aus Olten, denke ich dann. Einen Zweiten dieses Namens, da bin ich mir ziemlich sicher, gibt es hier nicht. Und wenn ich ehrlich sein soll, habe ich zeitlebens in der ruhigen Gewissheit gelebt, der einzige Alex Capus auf der ganzen Welt zu sein. The oneand only.

Überprüfen liess sich das früher nie, denn die Welt ist gross. Aber jetzt gibt es Internet und Facebook, und die sind zusammen grösser als die Welt. Also gab ich an einem dieser Tage, an denen man mich fragte, für wen ich mich eigentlich halte, meinen Namen in Facebook ein. Undsiehe da: Ich bin nicht allein auf der Welt. Es gibt einen zweiten Alex Capus, und zwar auf den Philippinen. Er lebt in Las Pinas im Süden der Hauptstadtregion Manila, die mit rund 12 Millionen Einwohnern eine der grössten Städte der Welt ist. Ich habe ihm geschrieben, er antwortet nicht. Auf den meisten Fotos ist er ein kräftiger Bursche Mitte Dreissig mit gelbem T-Shirt und grossflächigen Tattoos auf dem Bizeps. Auf anderen Fotos aber, die mit «Emmie» unterschrieben sind, trägt er Lippenstift. Und er hat einen Freund namens John Capus, der, den Fotos nach zu urteilen, eine Frau ist. Oder ein Transvestit. Oder sonstwas.

Das ist alles sehr verwirrlich. Wenn mich das nächste Mal auf der Strasse jemand fragt, für wen ich mich eigentlich halte, werde ich sagen: Keine Ahnung. Die Welt ist immer noch gross.

Alex Capus

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