Die Kandidatin
Um die 246 Parlamentssitze in Bundesbern bewerben sich 1’858 Frauen. Eine davon ist unsere Mittlere. Sie und fünf Mitstreiterinnen aus Olten wollen dafür sorgen, dass der Nationalrat weiblicher wird. «Weiblicher, und anders im Umgang mit Macht», sagt die Mittlere. Keine Frage, dass wir Eltern sie unterstützen. Im grosselterlichen Haushalt allerdings hat die steile Kandidatur erst mal Stirnrunzeln ausgelöst. «Warum machst du das?», fragte mein Vater seine Enkelin. «Warum nicht?» gab sie zurück. «Und wenn nicht wir, wer denn sonst?» Er: «Aber warum aus- gerechnet für diese linke Partei?» Weil die für sie passe – und «seine» CVP eben nicht.
Dabei ist den Jungpolitikerinnen völlig klar, dass ihre Wahlchancen, sagen wir mal, begrenzt sind. Doch ihr Tun ist nicht ohne Strategie. Sie wissen, erstens: Ihre Liste hilft mit, nach dem Rücktritt von Bea Heim erneut eine solothurnische Frau nach Bern zu bringen, vielleicht sogar mehr als eine. Zweitens: Ihre eigene Zeit wird kommen. «Und dann bestimmen WIR die Gesetze», erörterte die Mittlere, «mit einer Klimapolitik, die diesen Namen verdient, und mit echter gesellschaftlicher Gleichstellung!» Mein Vater wollte gerade anheben, über die kürzlich beschlossene «Papizeit» zu schimpfen – da wechselte meine Mutter elegant das Thema.
Wenig später hängen dann die Wahlplakate. Auch die Mittlere und ihre Kolleginnen lächeln von Säulen und Laternenpfählen. Meine Eltern betrachten das Plakat auf meinem Smartphone. «Sie macht das schon toll, unser Grosskind, findest du nicht auch?», sagt meine Mutter. Auf dem Gesicht meines Vaters macht sich ein feines Lächeln breit. Die gealterten, aber wachen Augen glänzen. Zwei Stimmen mehr für die Mittlere.