Die Geister

Irène Dietschi, Journalistin.
Irène Dietschi, Journalistin.

«Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben», rezitiert mein Vater, die Rhythmik der berühmten Worte geniessend. Er hat eine dichterische Ader, schmiedet selber Verse, trägt gerne klassische Gedichte vor – wie an diesem Abend Goethes «Zauberlehrling». «Walle! Walle manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fliesse...». Ich bin müde, und beim Zuhören wandern meine Gedanken. Ausgerechnet zu Olten SüdWest, das dieser Tage wieder einmal in den Schlagzeilen ist: Die Idee, den neuen Stadtteil durch eine Unterführung beim Hammer zu erschliessen, ist in Oltens Parlament durchgefallen.
«SüdWest, Geister, Geisterstadt», geht es mir durch den Kopf. Auch der Stadtrat ist ja unzufrieden. Er will dem Areal ein neues Gesicht verpassen, ein «Masterplan» steht an, um auszubrechen aus der Monokultur, die bis jetzt die Siedlung beherrscht. Zwei Planungsbüros sind an der Arbeit. Ihr Ziel ist Vielfalt statt Eintönigkeit. Variierende Gebäudehöhen und –formen, Grünflächen, Einfamilienhäuser. Damit im neuen Stadtteil dereinst auch Alte und Kinder leben.
«Ach! Nun wird mir immer bänger!», höre ich Goethes Verse. Mir wird auch bang. Und in meiner Phantasie sehe ich in Olten SüdWest die immer gleichen Häuser und Wohnungen entstehen, ein Albtraum der ewigen Fortsetzung, nicht zu stoppen. Ein Fluch. Wie der zum Leben erweckte, pausenlos Wasser schleppende Besen des Zauberlehrlings, bis dieser nach dem Meister ruft: «Herr die Not ist gross! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.» «SüdWest braucht keinen Meister, sondern kluge, off’ne Köpfe und Herzen – Freigeister!», rufe ich. Mein Vater schaut mich fragend an.

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