Der Weingarten
Anfang Monat schlug in Olten die Stunde des Boulevards: Im Alters- und Pflegeheim Weingarten waren Fälle von Krätze aufgetreten. Tele M1 zeigte schonungslos den verwüsteten Rücken einer betroffenen Bewohnerin, und das Oltner Tagblatt schrieb: «Auch das noch!» Blick hätte es nicht besser gekonnt.
Es folgte keine Einordnung des Geschehens aus ärztlicher Sicht. Kein Hinweis darauf, dass Krätzemilben in Einrichtungen wie Alters- und Pflegeheimen häufig sind, «überall dort, wo Personen betreut oder medizinisch versorgt werden, und in denen enger Haut-zu-Haut-Kontakt üblich ist», wie das Robert-Koch-Institut festhält. Solches interessierte die lokalen Berichterstatter nicht, denn für sie stand von vorneherein fest: Die Milben sind symptomatisch für schlimme Zustände.
Mein Vater lebt seit September im Weingarten. Er, der niemals in einem Heim leben wollte, brauchte von jetzt auf gleich einen Pflegeplatz; im Weingarten gab es einen. Mein Vater hadert mit seiner Situation. Und dennoch: Über die Mitarbeitenden im Weingarten sagt er nur Gutes – freundlich seien sie, und engagiert. An einem schönen Nachmittag im Oktober, als er und meine Mutter auf der sonnigen Terrasse Kaffee tranken, kam ihm sogar ein «es ist eigentlich ganz schön hier» über die Lippen. Dass es vor kurzem Krätze gegeben hat, hat er nicht mitbekommen.
Liebe Oltnerinnen und Oltner, das Boulevard-Bashing wird dem Weingarten nicht gerecht. Ich empfehle Ihnen: Machen Sie sich von dieser bald 100-jährigen Institution Ihr eigenes Bild. Sie werden Angestellte erleben, die sich Tag für Tag dafür einsetzen, aus den bisweilen schweren Situationen alter Menschen das Beste zu machen. Man kann ihre Arbeit gar nicht hoch genug schätzen.