«Das Geisterhaus»

In unserer Nachbarschaft steht ein Haus, das nennen die Kinder das Geisterhaus. Es ist eine freund-liche kleine Villa aus den 50er Jahren mit Balkon und grosszügigem Umschwung, die eigentlich nichts Furchterregendes hat. Im Winter steigt ein Räuchlein aus dem Kamin, im Sommer mähtjemand das Gras und stutzt die Rosenhecke - unheimlich ist nur, dass nie ein Mensch zu sehen ist. Die Fensterläden sind immergeschlossen und im Winter sieht man niemals Fussspuren im Schnee, und am Garagentor hängen Spinnweben und dasBalkongeländer ist mit Moosbedeckt.

Wie man hört, steckt keine Geistergeschichte dahinter, sondern ein Erbschaftsstreit. Die Hinterbliebenen können sich nichteinigen, was mit dem Haus geschehen soll, deshalb steht es seit 15 Jahren leer. Hätte man das Haus damals einer Familie mit kleinen Kindern überlassen,wären die bald flügge und könnten es an eine nächste Generation weitergeben. So aber werden die Dichtungen spröde und die Wasserleitungen setzen Rost an, und die Türen verziehen sich und die Tapeten werfen Blasen. Ein Haus, das so allein ist, wird es lange bleiben, wird altern, leer stehen, viel Geziefer anziehen. Und irgendwann wird der Bagger es dem Erdboden gleichmachen, und die Erben werden ihrem Erbe nachtrauern und einander gegenseitig die Schuld zuschieben.

A propos: Kurz vor Ostern hat der Bagger die prächtige Heim-Villa bei der Bahnhofbrücke niedergerissen, Oltens Antlitz hat wieder mal eine Zahnlücke. Die Stadtregierung hätte das Haus wieder mal kaufen können, wollte aber wieder mal nicht. Vorerst kommen da wieder mal Parkplätze hin, irgendwann soll wieder mal eine Pensionskasse ein modernes Wohn- und Geschäftshaus errichten. Wie das aussehen wird, weiss man jetzt schon. Man könnte Witze reissen. Oder eine Zeichnung machen. Und Wetten abschliessen. Alex Capus

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