Coiffeuse im Ring
Tagsüber gleiten ihre Hände durch Haar, flink, sanft, routiniert. Abends steht sie im Ring. Roter Kopf, glänzende Stirn, konzentrierter Blick. Ihr Atem geht schwer, Schweissspuren überall, die Erschöpfung im Gesicht. Das Training dauert bereits anderthalb Stunden. Ein «Ig ma nüm» wird mit der Aufforderung für eine weitere Runde pariert. Disziplin steht hoch im Kurs. Ist gold wert, damit man im Ring nicht austickt. Damit Mann im Kampf nicht austickt. Er scheint hier deutlich schwächer zu sein. «Drei Schläge! Nicht vier!», ruft der Trainer einem jungen Mann zu, der glaubt, seine Energie nicht im Griff haben zu müssen. Keine Diskussion. Aggression will kontrolliert sein. Ich beobachte das Geschehen in einem Aarauer Boxclub. Hier findet stille Integration zu lauter Musik statt. Migrationshintergrund ist offensichtlich. Aufgewärmt wird individuell. Luft-boxen. Seilhüpfen. Speedballs. Und Kraft. Bis an die Grenze und darüber hinaus. Da sind zwei junge Frauen, der grosse Rest ist männlich. Der älteste Teilnehmer trainiert die zwei Stunden ohne Unterbruch. Im Ring steht er nie. Darf er nicht. Zu alt, der 41-Jährige. Die Regeln sind streng.
Es gibt sechs Grundschläge: Rechts, links, gerade, von unten und Hacken. Sie üben Schlag- kombinationen. Angriff. Ausweichen. Zurückschlagen. Und immer wieder: «Deckung!» Sich schützen. Es sind Dutzende kleine Choreographien. Der Trainer korrigiert penibel. Es kämpft Frau gegen Frau. Frau gegen Mann. Dient der Kontrolle der Kraft. «In Bewegung bleiben!», mahnt der Trainer. «Bewegen!» Ein stetes Tänzeln. Mein Respekt vor der Coiffeuse wächst. Dass die Musik schon länger ausgefallen ist, fällt niemandem auf. Weiter. Tanzen.