«Bärlauch»
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Der lange Winter und der trübe Frühling haben auch ihr Gutes, sagt mein Nachbar Urs.
Was denn, frage ich.
Die Gletscher wachsen wieder.
Ist das gut?
Die Gletscherschmelze war schlecht, sagt Urs.
Für wen?
Für die Gletscherflöhe. Hab ich in der Zeitung gelesen.
Sonst noch für jemanden?
Weiss nicht, sagt Urs. Jedenfalls hat das schlechte Wetter sein Gutes. Zum Beispiel hat’s im Mai noch Bärlauch im Wald. Das ist gut für Bärlauch-Pesto.
Magst du Bärlauch-Pesto?
Pfui Deibel, sagt Urs. Kein Mensch mag Bärlauch-Pesto. Bärlauch isst man nur, weil er halt da ist.
Na, na, sage ich. Manche Menschen mögen Bärlauch.
Kennst du einen?
Ich jetzt nicht.
Bärlauch ist wie Kaufhausmusik, sagt Urs. Die gefällt auch keinem. Man hört sie nur, weil sie halt da ist. Oder wie die Kandidaten fürs Oltner Stadtpräsidium. Die wählt man nur, weil sie halt da sind.
Na, na, sage ich. Manche Menschen mögen Kaufhausmusik.
Du etwa? fragt Urs.
Ich jetzt nicht.
Glaub mir, Kaufhausmusik gefällt keinem. Nicht mal den Musikern, die sie gespielt haben.
Lass uns von was anderem reden, sage ich. Gestern habe ich in der Brockenstube ein tellergrosses Stück römischen Mosaikboden gekauft. Fundort Römerstrasse Olten. Komplett mit archäologischem Beipackzettel und allem. Für 32 Franken.
Gratuliere, sagt Urs.
Was meinst du, muss ich das im Museum abgeben? Oder darf ich’s behalten?
Ich würd’s behalten, sagt Urs.
Du schon, sage ich. Aber ich habe einen Gewissenskonflikt.
Den hältst du aus, sagt Urs. In ein paar Jahren bist du eh tot, dann kehrt dein Römermosaik zurück in die Brockenstube.
Stimmt eigentlich, sage ich. Sollen die Museumsleute dann in der Brocki vorbeischauen.
Alex Capus