«Baby»
Als ich kürzlich im Strassencafé sass und Zeitung las, kam eine mir unbekannteDame mittleren Alters die Hauptgasse hinunter und stellte einen Kinderwagen neben mir ab.
«Herr Capus, könnten Sie kurz auf mein Enkelkind aufpassen? Ich muss rasch eine Solothurner Torte besorgen. Dauert nur eine Minute.»
«Selbstverständlich.»
«Für Sie ist das ja nichts Besonderes. Wo Sie doch so vieleKinder haben.»
«Ja.»
Die Dame war kaum ins Innere des Geschäfts verschwunden, als die Ex-Frau eines Freundes eines Freundes von mir die Gassehinauf kam. «Schon wieder ein Kind!» rief sie aus. «Hast du eigentlich eine Fabrik zu Hause?»
«Das nun nicht gerade», sagte ich.
«Ich hatte gar nicht gemerkt, dass deine Frau schwanger war.»
«Es ist nicht von meiner Frau», sagte ich wahrheitsgemäss.
«Aha», sagte die Ex-Frau des Freundesfreunds, zog missbilligend die Brauen hoch und ging weiter.
Als nächstes tauchte neben der Stadtbibliothek eine pensionierte Lehrerkollegin meiner Mutter auf. Sie grüsste freundlich, pries das hübsche Baby im Kinderwagen und berichtete, dass sie selber kürzlich Grossmutter geworden sei. «Wissen Sie, was ein Skandal ist? Dass die Krankenkassen Abtreibungen bezahlen, aber niemals eine künstlicheBefruchtung. Die kostet viertausend Franken. Andrerseits ist das ja auch kein Betrag für so ein hübsches kleines Ding wie dieses hier.»
«Ja», sagte ich und warf nun selber einen Blick in den Kinderwagen. Das Baby war wirklich sehr hübsch. Es trug ein rosa Kleidchen und schlief.
Die Frau war kaum ihres Weges gegangen, als die Grossmutter des Babys mit ihrer Torte zurückkehrte.
«Alles in Ordnung?»
«Bestens», sagte ich. «Ist das ein Mädchen in dem Wagen?»
«Natürlich. Wo doch alles rosa ist.»
«Dann könnte ich es vielleicht mit nach Hause nehmen? Meine Frau würde sich freuen. Vondieser Sorte haben wir nämlich noch keins.» Alex Capus
