«Auswandern»
«Dass du dich überhaupt noch in die Stadt getraust», sagte mein Nachbar Urs. «Mit deinem Geschreibsel hast du über die Jahre bald sämtliche Oltner Einwohner mindestens einmal gegen dich aufgebracht.»
«Ich tu, was ich kann», sagte ich. «Ein paar fehlen noch.»
«Den einen oder anderen könntest du schonen», sagte Urs.
«Wen denn?»
«Den neuen Stadtpräsidenten zum Beispiel. Der ist wirklich einNetter.»
«Das stimmt», sagte ich. «Wen noch?»
«Die fleissigen Museumsleute mit ihren viel zu kleinen und immer leeren Museen. Oder die letzten überlebenden Christkatholiken mit ihrer viel zu grossen Stadtkirche.»
«Die finde ich auch alle nett», sagte ich. «Andrerseits muss man seine Nackenschläge gerecht verteilen. Man sollte keinen schonen und darf nicht immer denselben ans Schienbein treten. Wenn ich’s richtig bedenke, sind die Museums-leute und die Christkatholiken bald die letzten, die ich noch nicht vergrätzt habe. Nicht, dass ich wüsste jedenfalls.»
«Und die willst du jetzt auch noch….?»
«Soll ich?»
«Nur zu.»
«Meiner Meinung nach», sagte ich, «sollte man alle diese unheilbar verkorksten Museümlein schliessen und an einem neuen Ort ein schönes, grosses Oltner Museum einrichten, unter dessen Dach sämtliche Aspekte unseres Stadtlebens präsentiert würden - Kunst undNatur, Historie und Technik, und natürlich Eisenbahn. Eisenbahnvor allem.»
«Und wo würde dein Supermuseum stehen?»
«Am liebsten am Bahnhof. Wenn das nicht geht, ersatzweise inunserer prächtigen klassizistischen Stadtkirche.»
«Bei den Christkatholiken?»
«Mit Magazin und Werkstätten im Coop City gegenüber. Falls der wie vielfach angedroht wirklich mal dichtmacht.»
«Spinnst Du?»
«Natürlich erst nach dem Hinschied des letzten Christkatholiken, dem ich selbstredend gute Gesundheit und ein langes Lebenwünsche.»
«Du spinnst», sagte Urs. «Vielleicht solltest du auswandern.»
«Vielleicht», sagte ich. «Aber ich bin noch nicht fertig.» Alex Capus
