Aus der Distanz
Niedergösgen, 2017. Seit etwa drei Monaten lebe ich in der Schweiz, es wird langsam wärmer, und ich komme mit meiner Kleidung langsam ins Schwitzen – in dem Koffer, mit dem ich angereist bin, hatten erstmal nur Winterkleider Platz, und der nächste Heimatbesuch muss warten. Vor mir liegt ein Sommer zwischen langen Gastroschichten und dem Schreiben meiner Bachelorarbeit. Und zwischendurch habe ich viel Zeit. Zeit, die ich auch für Spaziergänge und Joggingrunden mit Tagträumereien an der Aare nutze. Von Niedergösgen geht es Richtung Aarau und zurück. Es ist eine intensiv-ruhige Zeit.
Mein Alltag in Hamburg ist Geschichte. Ich habe meine Familie und eine Metropole, die auch das Zuhause vieler Verlage und Agenturen ist, verlassen und muss damit auch für meine beruflichen Träume neue Wege finden. Dafür hinterfrage ich die Träume oft, verwerfe sie manchmal oder träume woanders hin. Ich bin für ein paar Monate ziellos, was mich oft verunsichert, aber auch einen Zustand schafft, der viele Wege möglich erscheinen lässt und einen Weitblick mit sich bringt, den ich seitdem nur noch selten erlebte.
Mittlerweile habe ich hier meinen Alltag gefunden. Und nun war da wieder dieser Moment mit dem Weitblick. Als ich letzte Woche in einem Heissluftballon über Niedergösgen fahre, geht die Sonne gerade unter, taucht den Jura in orangenes Pastell, und ich schwebe in einem kleinen Korb über den Aareweg, an dem ich entlang joggte, und fahre über das Haus, in dem ich acht Monate wohnen durfte. Hier oben habe ich ihn für einen kurzen Moment wieder, den Weitblick von damals. Und er zeigt mir jedes Mal: Im beruflichen und auch im privaten Leben ergeben sich, mit etwas Abstand betrachtet, plötzlich so viele mögliche Wege mehr. Dann müssen wir nur noch mutig sein, uns für einen entscheiden und ihn gehen.