Aufmerksamkeit

Daniel Kissling, Kulturschaffender und Barkeeper. (Bild: M. Isler)
Daniel Kissling, Kulturschaffender und Barkeeper. (Bild: M. Isler)

Derzeit beginnen meine Tage mit Schreien. Sieben Monate ist meine Tochter alt, und wenn sie sich mitteilen will, dann schreit sie. Sie schreit, wenn sie aufgewacht und der Teddybär im Bett nicht mehr genug spannend ist oder die Windel zu nass oder der Hunger zu gross. Und hab ich ihre Grundbedürfnisse dann gestillt und will mich meinen widmen, heisst Kaffee und den Schlagzeilen des Tages, kann es gut sein, dass das Schreien bald wieder los geht. Was erdreiste ich mich auch in mein Handy zu starren, anstatt mit ihr zu spielen?

Auch Aufmerksamkeit ist ein Grundbedürfnis von uns Menschen, und zwar eines, das wir uns auch als Erwachsene nicht alleine erfüllen können. «Mami, lueg! Mami, lueg!», rufen wir als Kinder. Später stellen wir unsere Ferienfotos auf Instagram. Während Aufmerksamkeit den einen dabei «nur» das Gemüt streichelt, geht es anderen ums Geschäft. Werbung ist das professionelle Buhlen um Aufmerksamkeit, denn ohne sie keine Kundinnen im Laden, keine Teilnehmer am Yoga-Kurs, keine Zuschauer am Konzert. Und keine Wählerinnen an der Urne.

An den Lampenmasten lächeln erste Gesichter bereits freundlich, ebenso in den sozialen Medien, wo Kandidierende versuchen, Slogans zu verbreiten, Themen zu setzen und Diskussionen zu lancieren. Auch ich mache wieder dabei mit, das geb ich gerne zu, bei diesem Kampf um die Aufmerksamkeit. Ich bin überzeugt, er ist ein notwendiger Teil unserer Demokratie, jedoch nur, wenn wir ihn nicht um unser selbst Willen führen.

Meine sieben Monate alte Tochter darf um Aufmerksamkeit schreien. Von uns Politikerinnen wird zurecht mehr erwartet. Auch mal Aufmerksamkeit geben, anstatt nur erhalten wollen zum Beispiel.

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