Am Himmel
Weltweit richteten die Menschen diesen Frühling ihren Blick gegen den Himmel. Dort gab es meist nichts zu sehen. Für ein paar Wochen bot unser aller Dach nur tiefes Blau. Keine Kondensstreifen von Flugzeugen, die sowohl Sinnbild des Fernwehs wie auch Mahnmal einer ungezügelten Mobilität sind. So lange, bis der Lockdown für ein abruptes Ende sorgte. Damit setzte sich oben fort, was auch auf der Erde spürbar war: Eine grosse Ruhe breitete sich über allem aus. Anfänglich machte uns diese Stille nervös, war sie doch Zeichen einer Krise, die wir nicht einordnen konnten. Doch schon bald wurde die Ruhe zum Geschenk. Und der Blick zum unverfälschten Himmel weitete die Sinne, bot Trost, wenn uns mal bange wurde und uns die guten Menschen fehlten.
Anfang Mai ging der Blick erneut nach oben. Mit schrillen Rufen verkündeten die Mauersegler ihre Ankunft. Pünktlich wie jedes Jahr landeten die Langstreckenzieher nach einem monatelangen Flug aus Afrika in Mitteleuropa. Nun verblüffen uns diese Segler wieder mit ihrer tollkühnen Flugshow. Mauersegler verbringen den grössten Teil ihres Lebens in der Luft, wo sie auch schlafen und balzen. Sie sind Akrobaten der Dreidimensionalität. Bis zu 200 Kilometer pro Stunde sind möglich, wenn ein Segler in der Luft in den Sturzflug übergeht.
Schon im August verlassen uns die Mauersegler Richtung Süden. Dann werden die Kerosin-Vögel wohl wieder ihre Linien an den Himmel zeichnen. Es bleibt die Erinnerung an einen tiefblauen Himmel als Zeichen einer ausserordentlichen Zeit. Und es bleibt die Gewissheit, dass die Mauersegler nächstes Jahr wiederkommen. Pünktlich in den ersten Mai-Tagen. Und ganz ohne Kondensstreifen.