Advent in Olten
Als ich mich vor zwei Wochen an einem Sonntagabend gerade auf den Nachhauseweg machen wollte, öffnete sich die Tür der Bar. Herein kam ein älterer Mann mit Rollkoffer. Ob er hier übernachten könne, fragte er mich in einem ungelenk zusammengenähten Patchwork aus Englisch, Deutsch, Französisch. Ich verneinte, zeigte die Tannwaldstrasse hinauf Richtung Hotel Amaris. «Ca. 40 Meter», sagte ich. Er dankte und verschwand in die Nacht.
Eine halbe Stunde später, auf dem Heimweg, begegnete ich ihm wieder. Er erkannte mich, winkte, bedeutete mir, schnell stehenzubleiben. Hektisch zog er seinen Rollkoffer über die Strasse zu mir. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was er mir in seinem Babelmischmasch sagen wollte. Er suchte eine Notschlafstelle. In einer solchen hatte er in Luzern die Nacht zuvor verbracht.
Er schaute mich hoffnungsvoll an und ich sagte schweren Herzens: «Gibt es hier nicht.» Sein Gesichtsausdruck änderte sich. «Wo dann?», fragte er. «Solothurn?» «Auch nicht», sagte ich.
«In Biel gibt es eine.» «Wie weit?», fragte er. «20 Minuten mit dem Zug», sagte ich und er: «Zug? Oh...». Und ich: «Tut mir leid.» Er dankte und verschwand in die Nacht. Im Kanton Solothurn gibt es keine Notschlafstelle mehr. Im Aargau übrigens auch nicht. Wo der Mann seine Nacht verbrachte weiss ich nicht. Ob er überhaupt noch genug Geld für den Zug bei sich hatte, auch nicht. Was ich aber zu wissen glaube: Dass das nicht so sein sollte. Und, dass wir uns als Gesellschaft und als Stadt eine Notschlafstelle schon leisten könnten. Weihnachtsbeleuchtung hilft vielleicht etwas gegen Winterdepression, aber gegen Erfrieren nicht.