Ist die Berufslehre noch zeitgemäss?
Olten Am 22. Oktober luden die Solothurner Handelskammer, der Industrie- und Handelsverein Region Olten und die Wirtschaftsförderung Region Olten zum Dialog Wirtschaft + Politik in Olten ein. Die Veranstaltung stellte die Berufslehre auf den Prüfstand. Ist diese noch zeitgemäss oder braucht sie eine Reform, um den künftigen Anforderungen gerecht zu werden?
Die ganze Welt beneidet die Schweiz um ihr duales Bildungssystem. Das System bietet den Jugendlichen eine Ausbildung auf hohem Qualitätsniveau und anschliessend einen direkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das ist ein Erfolgsfaktor der Schweizer Wirtschaft und führt dank des integrativen Charakters trotz eines hohen Anteils an Menschen mit Migrationshintergrund mitunter zu einer sehr tiefen Jugendarbeitslosigkeit. Aber kann die Berufsbildung mit den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen schritthalten? Wird sie den Bedürfnissen der Wirtschaft auch in Zukunft noch gerecht? Warum bauen immer mehr Unternehmen eigene Akademien auf, um zu jungen Nachwuchskräften zu kommen? Was muss sich in der Berufsbildungslandschaft Schweiz bewegen, damit das Erfolgsmodell weiter Bestand hat?
Diesen und weiteren Fragen zur Zukunft der Schweizer Berufsbildung stellte sich kürzlich in Olten eine kompetente Runde bestehend aus Dr. Sonja Studer, Bereichsleiterin Bildung und Mitglied der Geschäftsleitung von Swissmem, Georg Berger, Direktor des Berufsbildungszentrum Olten, Roberto Conti, Kantonsschullehrer, Kantonsrat und Mitglied der kantonalen Bildungs- und Kulturkommission, und Noah Heynen, Co-Gründer und CEO der Helion Energy AG in Zuchwil. Moderiert wurde der Anlass durch Rolf Schmid, Leiter der Wirtschaftsförderung Region Olten.
In ihrem Referat hob Dr. Sonja Studer die hervorragende Stellung der Schweiz im internationalen Arbeitsmarkt hervor. So belege unser Land im IMD Talent Ranking seit zehn Jahren den ersten Platz. Das sei für die Wirtschaft mit dem weltweit zunehmenden Fachkräftemangel ein grosser Vorteil im Standortwettbewerb.
Trotzdem würden Unternehmen auch hierzulande immer mehr Mühe haben, genügend qualifizierte Berufsleute zu finden. Besonders die rückläufigen Zahlen von Lernenden in technischen Berufen würden die Firmen beschäftigen. Oft sei es schon schwierig, die Mitarbeiterzahl aufgrund des fehlenden Nachwuchses halten zu können. An Wachstum sei vorderhand gar nicht zu denken.
Neben der Ausbildung sei auch die Weiterbildung ein zentrales Element, um den steigenden Anforderungen der Wirtschaft gerecht zu werden. Lebenslangens Lernen und kein Abschluss ohne Anschluss müssten hier die Devise sein. Die Berufsbildung mit ihren vielen Möglichkeiten lasse dabei eine Tertianisierung zu, welche nicht mit der vielfach kritisierten Akadamisierung verwechselt werden dürfe.
Ganz allgemein sei das Schweizer Berufsbildungssystem mit seiner Arbeitsmarktnähe ein grosser Pluspunkt für die Schweiz. Gefahren lauerten jedoch bei der Veradministrierung der Bildungslandschaft sowie zu viel Bürokratie, welche oft innovative Modelle und notwendige Weiterentwicklungen stark erschwere oder verunmögliche.
Das Berufsbildungssystem gemeinsam weiterentwickeln
In der anschliessenden Podiumsdiskussion betonte Kantonsschullehrer und Bildungspolitiker Roberto Conti die Wichtigkeit der Berufslehre. Seiner Meinung nach sollen Eltern gut überlegen, ob das Gymnasium für ihre Kinder wirklich das Richtige ist, oder ob eine Berufslehre besser passen würde, denn das sei eine gute Alternative. Man müsse den Eltern und Jugendlichen die Perspektiven einer Berufslehre besser aufzeigen können.
Berufsschuldirektor Georg Berger war es wichtig, dass man die Berufs- und Mittelschule nicht gegeneinander ausspielt. Beides sei wichtig für unseren Wirtschaftsstandort. Jedoch müsse man weiter am Image der Berufsbildung arbeiten. Weiter plädierte er für eine Weiterentwicklung des Systems. Dieses müsse flexibler und modularer werden sowie weniger Regulative haben, um mit den Anforderungen der Wirtschaft Schritt halten zu können.
Noah Heynen bedauerte, dass die Berufslehre in den Köpfen der Gesellschaft noch immer falsch verankert sei. Ein guter Techniker verdiene schon längst mehr als ein Absolvent eines Psychologiestudiums. Schwer auf dem Magen liege ihm jedoch die Starrheit des Berufsbildungssystems. Es brauchte sage und schreibe sieben Jahre, um von der Idee einer Solarlehre eine solche einzuführen.
Als Schwachstelle ortete er dabei den grassierenden Bildungsföderalismus und die verschiedenen Akteure, die man alle an Bord haben müsse. Weil seine Branche pro Jahr über 1500 neue Fachkräfte brauche, könne er sich als Unternehmen nicht länger auf das System verlassen, sondern habe jetzt eine eigene Akademie aufgebaut.
Laut Dr. Sonja Studer brauche es den Willen von allen Beteiligten, um erfolgreich gegen die Trägheit des Systems anzukämpfen. Sie sehe durchaus Potenzial, die Berufsbildung mit den gegebenen Akteuren weiterzuentwickeln. Der Wunsch, dass die Politik stärker eingreife, sei dabei nicht so gross. pd