Der Muttersprache auf der Spur

Internationaler Tag der Muttersprache Anlässlich des Tages der Muttersprache erzählt die Finnin Mari Vihertola, wie sie ihre Muttersprache pflegt und Silvia Büchi, Integrationsbeauftragte der Stadt Olten, betont deren Wichtigkeit für Kleinkinder.

Um eine Sprache zu lernen hilft es, sie zu hören, zu sprechen und sie zu schreiben, weiss die gebürtige Finnin und Oltner Bürgerin Mari Vihertola. (Bild: mim)
Um eine Sprache zu lernen hilft es, sie zu hören, zu sprechen und sie zu schreiben, weiss die gebürtige Finnin und Oltner Bürgerin Mari Vihertola. (Bild: mim)

Seit dem Jahr 2000 wird mit dem «Internationalen Tag der Muttersprache» jeweils am 21. Februar, der von der UNESCO ausgerufene Gedenktag zur «Förderung sprachlicher und kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit» begangen. Diese sind auch in der Dreitannenstadt zu finden. «In Olten wohnen 114 Nationen», so Silvia Büchi, die Integrationsbeauftragte der Stadt Olten. Wie viele verschiedene Sprachen in Olten gesprochen werden, werde jedoch nicht erhoben.

Veraltete Muttersprache

Eine der 114 Nationen ist Finnland. Mari Vihertola ist vor 17 Jahren in die Schweiz gekommen. «Ich habe Sprachen studiert und nach meinem Masterabschluss im Juli 2002 stellte ich zu meinem Erschrecken fest, dass ich womöglich Mitten in der Ferienzeit in Finnland keinen Job finden kann», erzählt Vihertola. «Deshalb suchte ich mir kurzerhand in Deutschland eine Anstellung», erinnert sich die 43-jährige Übersetzerin zurück, die im Rahmen ihres Studiums bereits Praktika in Deutschland, Portugal und Kanada absolviert hatte. Schliesslich wurde nach einem Jahr von Deutschland ein konzerninterner Wechsel zu den Eidgenossen beschlossen. «Von der Schweiz kannte ich damals das Übliche: Schokolade, Uhren und Banken», so Vihertola mit einem Schmunzeln. Angesprochen darauf, wie sie ihre Muttersprache pflege, antwortet sie: «Ich telefoniere mit meinem Vater, lese die finnische Zeitung oder sehe fern. Ausserdem lese ich gerne Bücher in Original-sprache, denn so wird die Heimat spürbar.» Daneben übersetzt Vihertola einen kulturellen Newsletter, den die Schweizerische Vereinigung der Freunde Finnlands (SVFF) verfasst. «Trotzdem muss ich jeweils während der Ferien in meiner alten Heimat feststellen, dass meine finnische Sprache veraltet ist. Gewisse neue Wörter kenne ich nicht, da ich 20 Jahre sprachlicher Entwicklung verpasst habe», so die Oltnerin, die sich vor zwei Jahren einbürgern liess.

Die Sprache des Herzens fördern

«Die Muttersprache wird als Sprache des Herzens bezeichnet», erklärt Büchi und fügt an: «Neben Berührungen und Augenkontakt ist die Sprache ein wichtiger Faktor für die Beziehung zum Kind, aber auch, damit es die Welt kennen lernt.» Sowohl bei Schweizer Familien als auch bei anderen Nationalitäten werde oftmals zu wenig kommuniziert oder der Sprache nicht die Bedeutung beigemessen, die sie tatsächlich habe, weiss die Integrationsbeauftragte. In Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) bietet die Stadt Olten Veranstaltungen für Eltern und ihre Kinder an. «Beim Kinderarzt und in den Bibliotheken sind neue Buchstart-Pakete mit zwei Büchern erhältlich. Daneben bieten wir monatlich die Buchstart-Veranstaltungen in der Jugendbibliothek Olten an. Seit vergangenem September zusätzlich zum Schweizerdeutsch, nun auch in Hochdeutsch», erzählt Büchi. Dabei zeigt die Leseanimatorin Elisabeth Lehmann den Eltern, wie sie mit ihrem Kleinkind, beispielsweise mit Fingerversen, reden können. «Es ist wichtig, dass die Eltern in ihrer jeweiligen Muttersprache, in der sie sich wohlfühlen mit dem Kind kommunizieren, auch wenn der Partner eine andere Sprache spricht», so Büchi und fügt an: «Das Kind kann problemlos mit zwei Sprachen aufwachsen und diese dem jeweiligen Elternteil zuordnen.» Mit der Veranstaltung «Schenk mir eine Geschichte» werden für Eltern und ihre Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren in Olten Geschichtenstunden in Deutsch, Arabisch, Englisch, Somalisch, Tamilisch, Tibetisch und Türkisch angeboten.

Gedanken haben keine Sprache

Die Finnen kommen bereits im Kindesalter in Kontakt mit der Mehrsprachigkeit. «Finnisch und Schwedisch sind unsere Amtssprachen und werden deshalb bereits in der Schule gelernt. Als erste Fremdsprache hatte ich Englisch ab der dritten Klasse», erzählt Vihertola, die zusätzlich in ihrer Schulzeit noch Deutsch- und Französischkurse belegte. Fremdsprachen sind wichtig, weil die finnische Sprache ausserhalb des Landes kaum angewendet werden kann. «Oftmals werde ich gefragt, in welcher Sprache ich denke oder träume. Gedanken haben jedoch keine Sprache und ich träume oftmals in Deutsch, da mein Alltag vor allem in dieser Sprache stattfindet», erzählt die Oltnerin. «Wenn mich Leute reden hören, vermuten sie, dass ich entweder aus Lichtenstein oder dem Wallis stamme», so Vihertola, die schmunzelnd verneine und antworte, es sei Oltner Bahnhofbuffet-Deutsch.

Situation ist eine andere

Die Muttersprache ist das Fundament, das für Stabilität und Sicherheit sorgt. «Die Kinder lernen mit der Muttersprache eine Struktur kennen, wie sie kommunizieren und etwas erzählen können», erklärt Büchi. Neben der Muttersprache sei es jedoch sehr wichtig, dass die fremdsprachigen Kinder auch Zugang zur deutschen Sprache bekämen. Sei es auf dem Spielplatz oder bei einem Nachbarn. «Personen mit Migrationshintergrund, die hier aufgewachsen sind, haben oftmals ein falsches Bild. Sie sind der Meinung, dass ihr Nachwuchs die deutsche Sprache im Kindergarten lernen wird, wie sie einst auch. Die Situation in den heutigen Kindergärten ist jedoch eine andere als noch vor 30 Jahren. Während früher die deutschsprachigen Kinder die deutliche Mehrheit bildeten, sind die Einrichtungen heute multikulturell aufgestellt», erklärt Büchi. Abgesehen davon, dass es für alle Beteiligten schwierig sei, wenn das Kind im Kindergarten kein Deutsch spreche, hätten Studien zudem gezeigt, dass der Rückstand beim obligatorischen Schuleintritt kaum aufgeholt werden könne.

Deutsch noch vor dem Kindergarten

Um Möglichkeiten für den Kontakt zur deutschen Sprache noch vor dem obligatorischen Schuleintritt anzubieten und damit gleiche Chancen für alle Kinder zu schaffen, hat Olten im Jahr 2017 am Pilotprojekt «Deutsch vor dem Kindergarten» des Kanton Solothurn teilgenommen. Die Direktion Bildung und Sport versendet an Eltern, deren Kinder drei Jahre alt werden einen Fragebogen, um den sprachlichen Wissenstand des Kindes abzufragen. Sind keine oder kaum Deutschkenntnisse vorhanden, so werden die Eltern verpflichtet, das Kind während eines Jahres zwei Mal pro Woche in eine Spielgruppe zu schicken. Momentan seien jedoch auf Kantonsebene einige Grundlagen betreffend dieses Angebotes noch nicht geklärt, so Büchi. «Für eine Verpflichtung fehlt die Rechtsgrundlage, zudem sind die Zuständigkeiten und die Bezahlung nicht geregelt.» Ausserdem stelle sich die Frage, was zu tun ist, wenn die Spielgruppen bereits viele fremdsprachige Kinder betreuen. «Wir müssen ein Modell entwickeln, wie das Angebot langfristig weitergeführt werden kann», so Büchi, die es wichtig findet, frühzeitig in die Kinder zu investieren und nicht erst später, wenn sich die Probleme in der Schule zeigen würden. «Lange Zeit herrschte die Meinung, dass die Sprachförderung vor der obligatorischen Schulzeit Sache der Eltern sei. Diese können aber insbesondere die Deutschförderung bei fremdsprachigen Kindern nicht immer alleine lösen, es braucht dazu unsere gesamte Gesellschaft», ist Büchi überzeugt und fügt an: «Eigentlich ist die Mehrsprachigkeit eine wunderbare Chance, doch nur, wenn ein solides Fundament geschaffen wird.» Auch Mari Vihertola findet verschiedene Sprachen etwas Wunderbares. «Es ist ein Reichtum mehrere Sprachen zu beherrschen. Zudem ist sie der Schlüssel zur Kultur des Landes und spiegelt diese oftmals in der Tonalität und im Rhythmus wieder. Die finnische Sprache gehört für mich in die behütete Ecke von Kindheit und Familie. Sie ist deshalb meine Gefühlssprache oder eben meine Muttersprache», schliesst Vihertola.

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