Auszug aus dem Altersheim

Aus dem Leben Sonja Erny-von Arx zog in ein Altersheim, nun will sie wieder ausziehen. Nicht, weil es ihr dort nicht gefallen würde. Sondern weil sie es sich nicht leisten kann – oder will.

Sonja Erny-von Arx auf der Bank vor dem Altersheim Bornblick. Eigentlich wohnt sie gerne hier – wenn es ihr nur nicht zu teuer wäre. (Bild: Patrick Lüthy)
Sonja Erny-von Arx auf der Bank vor dem Altersheim Bornblick. Eigentlich wohnt sie gerne hier – wenn es ihr nur nicht zu teuer wäre. (Bild: Patrick Lüthy)

Sonja Erny-von Arx sucht eine neue Wohnung: zweieinhalb Zimmer, «vielleicht auch drei oder vier, das kommt auf die Gestaltung der Räume an», möglichst hell, mit Lift, im Oltner Hammerquartier – ganz so, wie sich viele Alleinstehende eine Wohnung wünschen. Dafür hat sie im «Stadtanzeiger» vom 23. März eigens ein Inserat geschaltet. Anders als die meisten jedoch ist Erny bereits 91 Jahre alt und wohnt derzeit im Altersheim Bornblick in Olten.

Dort sitzt Erny an einem Dienstagvormittag zu Tisch im hauseigenen Restaurant, vor sich eine glasige Henkeltasse mit heisser Milch. «Im Bornblick bin ich bestens aufgehoben», sagt sie. Erny reisst vorsichtig den Ovo-Beutel auf, leert das Pulver in die Milch. «Weg von hier will ich einzig und allein wegen den Finanzen», fährt sie fort, als sie den Löffel nimmt und mit ruhiger Hand zu rühren beginnt.

Ein Stockwerk für sich, zwei vermietet

Vor sechs Jahren wohnt Erny im eigenen Haus in Zofingen, im obersten von drei Stockwerken. Die beiden darunter hat sie vermietet. Dann gerät sie in einen Zwist mit einem der Mieter. Also verkauft sie das Haus – sie ist da schon Mitte Achtzig. Den Erlös teilt sie später zwischen ihren drei Kindern und sich auf, gerecht zu je gleichen Vierteln.

Erny zieht nach Olten, in eine Wohnung an der Solothurnerstrasse im Hammerquartier, einen Steinwurf vom Bornblick entfernt. Finanziell geht es ihr gut: «Es reicht sogar für etwas Lustiges zwischendurch», wie sie schmunzelnd erzählt. Erny erhält AHV und Pensionskasse: «Zum Glück habe ich nach meiner Scheidung noch zehn Jahre gearbeitet», sagt Erny.

Denn ihre Scheidung liegt 45 Jahre zurück, 1978 herrschte noch das alte Eherecht: «Der Ehemann verwaltet das eheliche Vermögen», legte dieses fest. Es galt bis ins Jahr 1988.

Die Finanzen hätte ihr Ex-Mann nie mit ihr besprochen, erzählt Erny. Nach der Scheidung blieb sie als gelernte Kindergärtnerin mit den drei jugendlichen Kindern zurück. Sie war fortan alleinerziehend und bildete sich während zweier Jahre zur Heilpädagogin fort. Dann arbeitete sie an der heilpädagogischen Schule in Zofingen, später in einem Heim im aargauischen Bremgarten. Ohne diese Anstellungen erhielte sie heute kein Geld aus einer Pensionskasse.

Augenoperation letzten Herbst

Letzten Sommer lebt Erny also in Olten an der Solothurnerstrasse, das Hammerquartier gefällt ihr. Ihr Grauer Star und die Makuladegeneration – eine Schädigung im Zentrum der Netzhaut – sind da bereits diagnostiziert. Doch nun reichen die regelmässigen Spritzen nicht mehr aus, um die Erkrankung in Schach zu halten. Erny wird zur Operation aufgeboten: für den Herbst, zuerst das rechte, ein paar Monate später das linke Auge. «Ist ja kein geplatzter Blinddarm», denkt sich die damals 90-Jährige unbesorgt.

Dann warnen sie Bekannte vor der Augenoperation: «Bis das ausgeheilt ist, siehst du dann nichts mehr.» Erny bekommt Angst. Zur gleichen Zeit macht ihr Blutdruck Probleme: Er ist zu tief. Erny kollabiert zweimal, glücklicherweise ohne sich dabei zu verletzen. Dennoch: Auch das macht ihr Angst.

Überzeugt, bald eine Zeit ohne Augenlicht überstehen zu müssen, und ausserdem von den Schwächeanfällen verunsichert, kommt Erny zum Schluss: «Nun bin ich in einem Altersheim wohl besser aufgehoben.» Denn sie fürchtet: «Mit mir geht es bergab.»

So sieht sich Erny nach einem Altersheim um. Ende August erfährt sie, dass im Bornblick eine Wohnung frei wird, schon auf September. Erny schlägt zu. Noch gleichentags kündigt sie ihre alte Wohnung.

Umzug in den Bornblick

Anfang September zieht Erny ins Altersheim Bornblick. Wenig später folgt die erste Augenoperation, dann die zweite. Beide verlaufen erfolgreich, ohne Komplikationen. Erny geht es «blendend, mir ist viel wohler». Und sie erblindet nicht, hat während der ganzen Zeit das volle Augenlicht.

Mehr noch: Sie sieht nun besser als vorher. «Plötzlich fiel mir auf, dass ich ja eine violette Handtasche habe.» Erny lacht herzhaft, als sie die Anekdote vor ihrer Ovo erzählt. Die Farbe Violett habe sie vor der Operation nicht mehr erkannt. Und auch Kreislaufprobleme hat Erny keine mehr, stellt sich doch heraus, dass die von Ernys Medikamenten stammen: Die senken den Blutdruck. Erny setzt sie ab. «Seither ist mir wieder vögeliwohl», sagt sie und lächelt.

Saucisson mit Lauch, wie vor 70 Jahren

«Mir geht es jetzt ja wieder gut», sagt Erny, vor sich die inzwischen gut verrührte, aber noch immer unverkostete Ovo. Und im Bornblick könne sie unabhängig wohnen. Erny bekocht sich oft: «Eine rechte Käseschnitte», mache sie sich, oder Saucisson mit Lauch, wie sie es im Welschjahr kennenlernte, vor etwa siebzig Jahren. «Aber ich kann mir ein Altersheim nicht leisten», sagt Erny. Stattdessen zehre sie jetzt von ihrem Ersparten.

Ob sie Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätte, will Erny gar nicht erst abklären. «Ich bin doch nicht armengenössig», sagt sie. Das würde sie beschämen. «Das heisst doch, dass man nicht recht Sorge trug zum Geld.»

Ausserdem habe sie finanzielle Unterstützung gar nicht nötig, wenn sie nur wieder eine eigene Wohnung fände. Auch eine Wohngemeinschaft kann sich Erny vorstellen. «Das wäre doch ganz praktisch», findet sie, «und ausserdem etwas günstiger.» Erny lächelt spitzbübisch.

Die 91-jährige Sonja Erny-von Arx sucht also wieder eine Wohnung: Zweieinhalb Zimmer – oder mehr, je nach Gestaltung der Räume – hell, Lift, Oltner Hammerquartier. Bei der Verwaltung ihrer letzten Wohnung hat Erny bereits nachgefragt, die ist schon wieder vergeben. Eine andere, die sie besichtigt hat, konnte sie nicht überzeugen. Erny rümpft die Nase: «Die war halt etwas dunkel.»

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