«Wir diskutieren keine Frage der Sicherheit, sondern eine Frage der Menschlichkeit»

Coq Politique Im Kulturlokal Coq d’Or wurde letzte Woche über die aktuelle Asylpolitik in Olten diskutiert. Freiwillige des Vereins «Olten im Wandel» forderten dabei mehr Eigeninitiative der Stadt und prangerten die Sanktionsmassnahmen in den Durchgangszentren an. Gleichzeitig erhielten Behördenmitglieder den Raum, ihren Standpunkt zu erklären.

Freiwilliger Tobias Vega (Freiwilliger «Olten im Wandel»), Luc Nünlist (SP-Gemeinderatsmitglied), Sedick Hamed (Übersetzer), Anne Birk (Amt für soziale Sicherheit), Iris Schelbert (Stadträtin) und Ali Reza (ehemaliger Bewohner Durchgangsheim Gh
Freiwilliger Tobias Vega (Freiwilliger «Olten im Wandel»), Luc Nünlist (SP-Gemeinderatsmitglied), Sedick Hamed (Übersetzer), Anne Birk (Amt für soziale Sicherheit), Iris Schelbert (Stadträtin) und Ali Reza (ehemaliger Bewohner Durchgangsheim Gheid) diskutierten im Coq d’Or über das aktuelle Asylwesen in Olten. (Bild: vwe)

Bereits zu Beginn der Podiumsdiskussion im Coq d’Or stellte Anne Birk vom kantonalen Amt für soziale Sicherheit die Zuständigkeiten klar: Das Durchgangszentrum im Oltner Gheid liege im Verwaltungsbereich des Kantons. Die unterirdische Unterkunft am Stadtrand wurde im letzten September eröffnet und beherbergt zu Spitzenzeiten bis zu 130 Asylbewerber. Betrieben wird das Zentrum von der Privatfirma ORS Service AG, welcher vom Kanton Solothurn das Mandat für die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen auf kantonaler Ebene übertragen wurde.

Beschäftigungsprogramme im Gheid

Weiter betonte Anne Birk, dass der Aufbau des Durchgangszentrums in Olten verglichen zu anderen Gemeinden ruhig vonstatten gegangen sei. Zudem konnte in Zusammenarbeit mit der Stadt ein Beschäftigungsprogramm auf die Beine gestellt werden. So dürfen die Asylbewerber während unbezahlten Arbeitseinsätzen beispielsweise Neophyten entfernen oder auch bei Waldarbeiten mitwirken. Stadträtin Iris Schelbert betonte zu Beginn der Debatte: «Heute diskutieren wir nicht eine Frage der Sicherheit, sondern eine Frage der Menschlichkeit.» Zudem zeigte Schelbert auf, wie wichtig eine Tagesstruktur und Beschäftigung für die Bewohner des Durchgangszentrums sei. Diese sei jedoch nicht immer einfach. «Die Stadt setzt, wo es geht, Asylbewerber für niederschwellige Arbeiten ein. Allerdings fürchten dadurch Werkhofmitarbeiter um ihre Stelle.» Eine solche Verunsicherung gilt es zu vermeiden. Zudem lobte die Stadträtin den Einsatz der Freiwilligen wie dem Verein «Olten im Wandel», der regelmässige Treffen, Sportevents und Deutsch-kurse für Asylbewerber veranstaltet.

Mehr Initiative von der Stadt gefordert

Trotz des von der Stadt unterstützten Beschäftigungsprogrammes forderten Freiwillige wie Tobias Vega an der Podiumsdiskussion mehr Eigeninitiative von Seiten der Stadt. So könne und solle auch die soziale Integration gefördert werden, dies sei nicht nur Auftrag der Freiwilligen. Luc Nünlist, SP-Gemeinderat, bemerkte, dass die Stadt, wenn auch nur als Symbol für mehr Menschlichkeit, über gesetzliche Vorgaben hinausgehen solle. Zudem wurde von dem Betroffenen Ali Reza, der sich sehr dankbar über die Betreuung in der Schweiz zeigte, darauf hingewiesen, dass eine individuelle Förderung von Asylbewerbern fehle. Die Bildungsunterschiede zwischen den Asylsuchenden seien enorm, von Analphabeten bis zu Akademikern sei alles vertreten, betonte der gelernte Ingenieur aus Afghanistan. Auch von den Freiwilligen wurde auf die riesigen Talente verwiesen, die die Bewohner des Durchgangszentrums mitbringen. Die Deutschkurse, welche von ORS angeboten werden, seien zwar ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch zu wenig effektiv. Dieses Problem wird vom Kanton bereits aufgegriffen und für nächstes Jahr seien weiterführende Sprachkurse vorgesehen.

Hausverbot als Sanktionsmassnahme

Mehrfach wurden während der Diskussion Hausverbote gegen aggressive Asylbewerber thematisiert, die von der ORS im Durchgangszentrum Gheid ausgesprochen wurden. «Es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen im Zentrum, vor allem bei einer massiven Überbelegung. Wir müssen etwas machen, wenn zwei mit dem Messer aufeinander losgehen. Wir können sie nicht in der Unterkunft behalten», erklärte Zentrumsleiter Ralph Spirig die Sicht des ORS-Team. Leider zeige sich die Polizei bei solchen kleinen Delikten noch nicht zuständig. Nach einem Hausverbot können sich die Asylbewerber an den Kanton wenden. Allerdings nur zu Bürozeiten, wie SP-Gemeinderat Luc Nünlist einwarf. Asylbewerber, die ausserhalb dieser Zeiten ein Hausverbot erhalten, fallen durch die Masche des Systems und landen auf der Strasse. «Auch wir sehen in diesem Bereich Verbesserungspotenzial. Es braucht ein Angebot für delinquente Asylbewerber», räumte Anne Birk vom kantonalen Amt für soziale Sicherheit ein. Auch die Tatsache, dass der Kanton einer privaten undgewinnorientierten Dienstleistungsfirma wie der ORS Service AG die Betreuung der Asylbewerber überträgt, wurde von Seiten der Freiwilligenkritisch hinterfragt.

Emotionales Schlusswort

Nach mehr als zwei Stunden Diskussion und einigen Fragen aus dem zahlreich erschienen Publikum wurde das Schlusswort an Ali Reza, ehemaliger Bewohner des Durchgangszentrums Gheid, erteilt. Der afghanische Asylbewerber zeigte die mangelnde Sicherheit in seinem Heimatland auf und damit den Grund für seine Flucht. Auf emotionale Art und Weise öffnete er dem Publikum zum Schluss noch einmal den Blick, um was oder wen es bei der Podiums- diskussion im Coq d’Or letzte Woche eigentlich ging: Um Menschen auf der Flucht wie er.

Weitere Artikel zu «Im Fokus», die sie interessieren könnten

Im Fokus28.02.2024

Wirz-Burri – Kolonialwaren und Delikatessen am Bifangplatz

Briefgeschichten Am Bifangplatz befand sich vor rund hundert Jahren an prominenter Lage der Laden zum «Bifanghof» von Paul Wirz-Burri. Die…
Im Fokus28.02.2024

«Unsere Lieder sind Medizin für unsere Herzen»

Olten Der Gedenkanlass «Zwei Jahre Krieg in der Ukraine» in der Stadtkirche wurde von weit über 200 Personen besucht.
Im Fokus28.02.2024

Gefrässig und vermehrungsfreudig

Asiatische Hornisse Die Verbreitung der Asiatischen Hornisse bedroht einheimische Bienenvölker. Die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, Sichtungen zu…