Wer ist Schuld an der Pandemie?

Stadttheater Olten Vergangene Woche wurde im Stadttheater Olten «Die Panne» von Friedrich ­Dürrenmatt aufgeführt. Das Stück liefert Antworten auf brennende Fragen.

Dienstagabend im Oltner Stadttheater: «Wer ist Schuld an der Covid-19-Pandemie?», fragt Svea Haugwitz. Die ­Frage hallt durch den altehrwürdigen Konzertsaal des Stadttheaters und setzt sich seiner feierlichen Beleuchtung ­entgegen. Dann versinkt sie im Parkett, in das sich schon so manche Erinnerung eingekerbt hat. Haugwitz indes macht mit ihrem Vortrag weiter. Sie ist die ­Dramaturgin von Theater Orchester Biel Solothurn. Dessen Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts «Die Panne» hat das Stadttheater eingekauft. An jenem Dienstagabend findet die Aufführung statt. Als Dramaturgin ist es Haugwitz Aufgabe, das interessierte Publikum in das Stück einzuführen. Deshalb steht sie im Konzertsaal an einem Rednerpult vor der Bühne, vor sich etwa zehn Stuhl­reihen in grossen Abständen zueinander. Rund dreissig Personen sind zur Werkseinführung eine halbe Stunde vor ­Beginn des Theaters erschienen. Sie alle tragen Masken, weswegen nicht zu erkennen ist, wie ihre Mundwinkel darunter die Frage nach der Schuld an der Pandemie erwidern. Manche formen vielleicht ein Lächeln, wenn auch ein verbittertes, andere mögen sich herunterziehen. Dass es unter den Masken Mundwinkel gibt, die von der Frage im Raum unbewegt bleiben, ist hingegen kaum vorstellbar. Das weiss auch Haugwitz. Deshalb hat sie diese Frage ja gestellt, die wohl schon lange in vielen Köpfen herumgeistert. Damit hat sie einen wesentlichen Teil ihrer Aufgabe gekonnt gelöst. Nämlich hat sie dem Publikum aufgezeigt, was das Theaterstück, das es gleich auf einer Bühne sehen wird, mit seinem eigenen, alltäglichen Leben verbindet. Die Fragen, die im Theater verhandelt werden, entstehen abseits der Bühne. Daher ist es nur angebracht, bei Verwirrung oder gar Angst nicht nur Anwälte und Ärzte, sondern auch mal das Theater aufzusuchen. Dürrenmatts «Die Panne» entpuppt sich dabei als gute Wahl, um der Coronapandemie ent­gegenzutreten. Damit, das Stück gerade jetzt nach Olten zu holen, beweist das Stadttheater eine feine Nase bei der Programmgestaltung.

Dürrenmatt ist aktuell

Auch wenn er im Dezember dieses Jahres schon seit dreissig Jahren tot ist: ­Einer wie Dürrenmatt hat auch nach seinem Ableben noch etwas zu sagen. In «Die Panne» erzählt er von Alfredo Traps, einem Generalvertreter für Textilien, dessen Auto eben von einer Panne in einem abgelegenen Dorf niedergestreckt wird. Traps muss also im Ort übernachten. Er findet Unterkunft in der Villa eines pensionierten Richters. Dort auf Besuch sind auch des Richters alte, allesamt ebenfalls pensionierte Freunde: ein Staatsanwalt, ein Verteidiger und ein Henker. Zusammen pflegen sie alte Gerichtsprozesse nachzuspielen. Die Gäste der Villa mimen dabei jeweils den Angeklagten. Traps lässt sich auf das Spiel ein und findet sich an einem üppigen Abendessen mit viel Wein wieder, an dem sein Fall verhandelt wird. Während er zu Beginn von seiner Unschuld überzeugt ist, dämmert ihm im Verlauf des Abends, dass er am Tod seines Vorgesetzten schuldig sein könnte. Schliesslich hatte er ein Verhältnis mit dessen Frau, obwohl er wusste, dass der Mann herzkrank war. Ausserdem wurde Traps in der Firma auf die Position des Verstorbenen befördert. Am Ende besteht er darauf, den Mord begangen zu haben. Nicht nur der Alkoholrausch beflügelt Traps. Als Emporkömmling geniesst er die Anerkennung der Alten für seine unwiderrufliche, einzigartige Tat. Trifft ihn nun also eine Schuld? «Unschuldig? Noch nie vorgekommen», lautet ein Ausschnitt aus einem der Dialoge im Stück. Und dennoch: Ohne die Autopanne, wäre seine Schuld, wenn es sie denn überhaupt gibt, unentdeckt und ungesühnt geblieben. In ihrer Werkseinführung zitiert Haugwitz Dürrenmatt: Die Erde sei eine Panne, in der das Schicksal die Bühne verlassen und an seine Stelle der Zufall getreten sei. Traps trifft also keine Schuld am Herzinfarkt seines Vorgesetzten. Das war Zufall. Und dennoch bleibt ein nagender Verdacht: Hätte Traps nicht wenigstens versuchen müssen, sich dem Zufall entgegenzustellen?

Publikum trotzt dem Zufall

Das Publikum im Stadttheater widmete sich in «Die Panne» also den Fragen nach Schuld und Zufall. Dabei war es selber Teil eines Versuchs, dem Zufall zu trotzen. Die mehr als dreihundert Gäste mussten das Schutzkonzept des Stadttheaters befolgen und Masken tragen. Auch die Theaterbar blieb geschlossen. Der Lust auf Theater tat dies jedoch keinen Abbruch: Vor der Aufführung herrschte das übliche Grundrauschen von Gemurmel im Theatersaal. «Wir erleben unsere Gäste als sehr dankbar», erklärt Theaterdirektorin Edith Scott nach der Vorstellung. Das motiviere, auch während der Pandemie Aufführungen anzubieten. «Nur der Einzelkartenverkauf ist harzig», sagt Scott. Er schwanke je nachdem, welche Schlagzeile zur Pandemie die Runde mache. «Aber wir vertrauen auf unsere treuen Seelen», dankt sie den Stammgästen.

Die Welt in Verwirrung

«Die Welt als Ganze ist in Verwirrung», zitiert Haugwitz in ihrer Einführung Dürrenmatt. Ein Satz, den wohl so manche nachempfinden und der droht, zum vorherrschenden Lebensgefühl zu werden. «Die Welt des Einzelnen hingegen ist noch zu bewältigen», erklärte der Autor weiter. «Hier gibt es noch Schuld und Sühne.» Für die Covid-19-Pandemie nach Schuldigen zu suchen, ist demnach also die falsche Frage. Eine zufällige Welt, eine Panne, wie sie Dürrenmatt erkannte, kennt keine Schuldigen. Und dennoch muss sich jeder Einzelne eben jener zufälligen Welt entgegenstellen. Schliesslich ist das zu bewältigen. So vermittelt «Die Panne», wenn auch eine gedankenschwere, so doch eine zuversichtliche Botschaft. Daneben, dass Theater eine Vogelperspektive auf die Welt und damit Erkenntnis bietet, kann es eben auch das: In einer verwirrenden Zeit einen Moment der Zuversicht schaffen. Umso schwerer fällt es daher, die Ironie des Zufalls zu verdauen: Wegen der Massnahmen gegen die Coronapandemie müssen alle Veranstaltungen des Stadttheaters Olten vorerst abgesagt werden – eine Wendung der Geschichte, wie sie Dürrenmatt nicht besser hätte erdichten können.

Aktuelle Informationen zum Betrieb des Stadttheaters Olten unter: www.stadttheater-olten.ch

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