Von Geigen den Kopf verdreht
Im Gespräch Kuno Schaub baute mit 13 Jahren seine erste Gitarre. Nun schliesst er als renommierter Geigenbauer sein Geschäft in Solothurn. Eine Begegnung mit einem Getriebenen.
Baut Kuno Schaub eine Geige, dann schläft er erst mal zwei Nächte nicht. «Es spult dann im Kopf, es motoret», beschreibt er den schlaflosen Zustand, wenn er im Bett liegt und seine Gedanken kreisen: «Welches Holz verwende ich, welche Form?» So dauert das an, bis etwas auf seiner Hobelbank liegt. «Dann bin ich wieder diszipliniert und geduldig.»
Kuno Schaub, 67-jährig, ist Geigenbauer. «Oder Luthier», erklärt er die aus dem Französischen abgeleitete Berufsbezeichnung. Bisher hat er über 230 Instrumente gebaut: Violinen, Bratschen, Celli, Gamben, Gitarren, auch drei Barytone, ein Zupf- und Streichinstrument aus dem 17. Jahrhundert. Zwischen dreissig und vierzig Formen – eine Art Leiste, auf der ein Instrument gebaut wird – hat er gefertigt, etwa fünf davon selber entworfen. «Der Rest sind Nachbauten von grossen Meistern aus dem 17. und 18. Jahrhundert.» Guarneri, Amati, Ruggeri oder Stradivari heissen seine Vorbilder, von denen er lernte, indem er deren Instrumente nachbaute. Dabei hat Schaub zwei Werkstätten geführt: eine im Bauernhaus in Neuendorf, wo er auch wohnt, und eine in Solothurn. Die schliesst er nun.
Deshalb komme er seit letztem Herbst auch nicht mehr zum Bauen, sagt er im Büro im Stock über dem Solothurner Geschäft. In einer Ecke stehen ein paar Celli, an der Decke hängen Geigen. «Mein Alltag besteht im Moment daraus, die Instrumente zu ordnen und zu entscheiden, welche ich behalten will.» Schwierig sei das nicht. «Die habe ich ja nicht selber gebaut.»
Als Bub zuerst Tiere seziert
Als Schaubs Kopf das erste Mal spulte, war er noch ein Bub in Kappel. «Ich war vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, da habe ich tote Tiere seziert», erzählt er. «Vögel, Mäuse, Ratten, Kaninchen, was halt daher kam.» Die Kadaver legte er solange in einen Ameisenhaufen, bis nur noch die Skelette übrig waren. Dann baute er die einzelnen Knochen wieder zusammen. «Manchmal fand ich im Ameisenhaufen nicht mehr alle Teile», erinnert sich Schaub schmunzelnd. Da habe er halt jeweils mit anderen Knochen aushelfen müssen.
«Ein Lebewesen ist eine Konstruktion aus Gummiseilen und Kalkansammlungen», hat Klein-Kuno da erfahren. «Das gleiche findet auch in einer Geige statt», meint Schaub heute. «Sie ist ein Korpus mit Rippen, der lebt und antwortet.»
Chirurg oder Präparator waren denn auch Schaubs erste Berufswünsche. Beides sollte ihm wegen der Schulbildung verwehrt bleiben. «Zum Glück hatte ich in der Schule in Kappel einen grossartigen Lehrer», sagt Schaub. Der bemerkte Schaubs Zeichen- und Konstruktionstalent – Schaub hatte als 13-Jähriger seine erste Gitarre gebaut – und verschaffte ihm eine Lehrstelle als Stahlbauzeichner. «Dort konnte ich das, was ich beim Zusammenbauen von Knochen fühlte, in ein technisches Verständnis, in ein machbares Bild verwandeln», beschreibt Schaub seine Lehrzeit. «Was ich da lernte, brauche ich seither fast jeden Tag. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar.»
Die mageren Jahre zu Beginn
1976, nach der Lehre und diversen Volontariaten bei Gitarrenbauern, eröffnete Schaub als 22-Jähriger eine eigene Werkstatt, zuerst in Hägendorf, bald in Olten. «Ganz zu Beginn wollte ja niemand etwas von mir», erinnert er sich an die Anfänge. So baute er tagsüber Instrumente. Bis heute findet er: «Auch wenn ich keine Arbeit habe, gehe ich trotzdem meinem Handwerk nach. Sonst bin ich wie eine Katze, die ihr Fell nicht pflegt.» Nachts heuerte er bei der Post am Oltner Bahnhof an, um Pakete umzuladen. «Das half, die Rechnungen zu bezahlen.»
1979 erhielt Schaub ein Stipendium für angewandte Kunst der Schweizerischen Eidgenossenschaft. «Dann gings schnell», erzählt er. Von da an musste er nie wieder Pakete umladen, sondern lebt seither von seinem Handwerk. «Ich bin demütig und dankbar, dass ich mir mit dem Geigenbau ein gutes Leben finanzieren konnte.»
«Es spult immer noch genau gleich»
«Es spult immer noch genau gleich, wie in meiner Kindheit», sagt Schaub über den Beginn eines neuen Instruments. Hat er sich dann entschlossen, was er bauen will, sieht sein Alltag immer ähnlich aus. Er beginnt vormittags mit Lackarbeiten: «Weil dann wenig Staub in der Luft ist.» Nach dem Mittag kämen dann die gröberen Aufgaben: Hobeln, fräsen, schneiden. Eine Geige ist nach etwa zweihundert Arbeitsstunden fertig. Dann lässt er das neue Instrument von einem Musiker spielen. «Das erste Mal ein neues Instrument zu hören, ist immer spannend», sagt Schaub. Mit der Erfahrung sei er aber ruhiger geworden. «Ich kann besser einschätzen, wie das Instrument etwa tönen wird.» Dennoch: «Jedes Instrument hat eine etwas andere Stimme.» Jeder Mensch habe einen anderen Klanggeschmack, sagt Schaub. «Ich mag zum Beispiel Instrumente, die sehr dunkel sind im Klang und eine gute Ansprache haben.»
Besonders befriedigend sei es, wenn ihm ein Instrument besser gelungen ist als jenes zuvor: entweder handwerklich, ästhetisch oder klanglich. Mit ein paar seiner Instrumente war Schaub jedoch nicht zufrieden. «Etwa drei Gitarren, und mal eine kleine Mandoline», zählt er auf. Die hat Schaub wieder zersägt. «Mit der Bandsäge geht das einfach», meint er trocken. «Weh tat das nicht. Das war eine Erleichterung. Ich zerstörte sie, damit ich wieder frei denken konnte.» Noch immer würden zwei, drei unliebsame Instrumente von ihm herumgeistern, die er damals verkaufte. «Da wäre ich froh, ich bekäme sie zurück, damit ich sie zersägen kann.»
«Wieder dort, wo ich angefangen habe»
Dass sein Atelier in Solothurn nun schliesst, bedrückt Schaub nicht. «Ich bin sehr dankbar, dass ich hier zwölf Jahre lang sein durfte.» Jetzt wolle er das noch sauber abschliessen. Dann will er in Neuendorf weiterarbeiten. «Ich bin jetzt wieder dort, wo ich angefangen habe», schliesst er einen Kreis. «Ich kann machen, was ich will.» Was er will, ist klar: «Solange ich gesund bin, baue ich Instrumente.» Wenn sie dann jemand kaufen wolle, dann sei das auch gut, meint er achselzuckend.
Ob seine Instrumente der Nachwelt erhalten bleiben, ist für Schaub zweitrangig. Die Geigen haben für ihn ihren Zweck bereits erfüllt: «Sie halfen mir, meine Rechnungen zu bezahlen.» Das war schon immer Schaubs Haltung: Eine Geige ist ein Werkzeug. «Die Künstler sind die Musiker, nicht wir Geigenbauer.»
Dennoch stechen auch für ihn ein paar seiner Kreationen heraus. «Das Baryton, das ich mit Schang machen durfte», antwortet Schaub ohne Zögern. Zusammen mit dem letzten Jahr verstorbenen Künstler Schang Hutter baute Schaub das Instrument. «Er entwarf und ich habe umgesetzt», erinnert sich Schaub. «Dass das möglich war, darüber freue ich mich bis heute.» Eine tiefe Freundschaft habe sie verbunden.
«Ich glaube, die Faszination ist Charaktersache», sinniert Schaub. «Das kann man nicht lernen, auch nicht austreiben, da bin ich sicher.» Dass er die seinige für den Geigenbau aufwendet, findet er gut: «Mit diesen Dingern kann man nicht schiessen.» Schaub schmunzelt. Er sei ein Getriebener, «ein Zablisiech», wie er sagt. «Noch in die Ferien würde ich am liebsten die Werkzeuge mitnehmen.» Deshalb ist für Schaub auch weiterhin klar: «Ich bin nur darauf aus, meine Arbeit zu machen.»
...und ausserdem
Diese Person möchte ich gerne mal treffen
Albert Einstein, weil er ein ganz witziger, unglaublicher Visionär war. Und Friedrich Glauser, weil er in der Gesellschaft als Person keine Chance bekam, sondern nur sein Werk. Er war ein Getriebener, der dem Verschleiss unserer Gesellschaft zum Opfer fiel.
So entspanne ich mich am besten
Mit dem Hobel und dem Skalpell, dem kleinsten Messer im Geigenbau, in der Hand.
Dieses Verhalten ärgert mich
Putin, mit seinem diktatorischen, zaristischen Gehabe. Solche Narzissten brauchen wir nicht. Da gibt es im Moment keine andere Aussage.