Vom Erlinsbacher zum «Ur-Oltner»

Was macht eigentlich? Er war Amtsnotar auf der Amtsschreiberei Olten-Gösgen, Oltner Stadtpräsident und sass für die FDP im Kantonsrat. Bald wird Ernst Zingg 70 Jahre alt. Er geniesst den Ruhestand, hat aber noch immer das eine oder andere Amt inne.

Das Kloster und den dazugehörigen Garten schätzt Ernst Zingg als Oase der Ruhe inmitten der Stadt sehr. (Bild: Achim Günter)
Das Kloster und den dazugehörigen Garten schätzt Ernst Zingg als Oase der Ruhe inmitten der Stadt sehr. (Bild: Achim Günter)

Beim Treffen sitzt ein zufriedener und vitaler Mann gegenüber. Und ein ausgeglichener. Eigentlich. Doch es gibt Themen, bei denen er mit Verve seine Sicht der Dinge schildert. Und mittels Gestik und Mimik durchblicken lässt, dass ihn manche Anschuldigung nicht kalt lässt. Es sind Themen, die aus dem ausgeglichenen Rentner für einen Moment wieder den Politiker werden lassen – wahlweise im Angriffs- oder Verteidigungsmodus. Doch dazu später.

Ernst Zingg, der in anderthalb Monaten 70 Jahre alt wird, hat Olten acht Jahre als FDP-Gemeinderat und dann vor allem von 1997 bis 2013 als Stadtpräsident geprägt. Seit ein paar Jahren ist Zingg – aufgewachsen im solothurnischen Erlinsbach, aber in seiner Wahrnehmung längst ein «Ur-Oltner» – vornehmlich Privatmann. Und wenn er so von seinem Alltag berichtet, spürt man: Zingg hat eine stimmige Balance gefunden zwischen wirklicher Freizeit und verbleibenden Engagements für die Gesellschaft. Es gehe ihm «sehr gut», sagt er. «Ich habe mich im letzten Jahr als Stadtpräsident zusammen mit meiner Frau auf die Pension vorbereitet. In meinen Augen haben wir das perfekt gemacht.»

Bereits unmittelbar nach der Wahl zum Stadtpräsidenten 1997 habe er öffentlich kundgetan, dass er zwölf oder maximal 16 Jahre im Amt bleiben wolle. Das habe er eingehalten. Im Kantonsrat, in den der Freisinnige 2001 gewählt worden war, verblieb der frühere Amtsnotar noch vier weitere Jahre, bis zum Rücktritt 2017. Zwei Jahre zuvor durfte er diesen gar präsidieren. Das Kantonsratspräsidium 2015 bezeichnet er als Krönung seiner Laufbahn. Auch weil es eine so seltene Ehre ist. «In 100 Jahren gibt es nur 100 Kantonsratspräsidenten.» Die vielen Begegnungen, das Führen des Kantonsrats, das Moderieren der Traktanden – all das habe ihm grossen Spass bereitet. «Und ich habe diesen Kanton mit über 190 Veranstaltungen in jenem Jahr – teilweise vier pro Tag – wirklich kennen gelernt. Da konnte ich Leute zusammenbringen. Das hat mir enorm gut gefallen.»

«Ich kann es selbst einteilen»

Mit dem Abschied aus dem Kantonsrat 2017 liess Zingg die aktive Politik hinter sich. Öffentliche Ämter, die auch mit seiner Politkarriere zusammenhängen, bekleidet er indes noch heute. Bis Ende Juli amtet er zum Beispiel als VR-Präsident der Aare Energie/sbo. Zudem präsidiert er die kantonale Sektion Alzheimer Solothurn. «Das ist eine sehr befriedigende und erfüllende Aufgabe.» Die vielfältige Tätigkeit fordert ihn pro Woche bis zu einem Tag. Weiter ist er Präsident der kantonalen Fachkommission Integration und Vorstandsmitglied des Trägervereins der SRG Aargau-Solothurn.

Mehr im privaten Bereich anzusiedeln sind das Präsidium des 800-köpfigen Turnvereins Olten und die Mitgliedschaft bei der Fröscheweidzunft zu Olten. An der TEKO Fachschule unterrichtet er zudem Baurecht und Moderationstraining. Noch immer kommt also eine ordentliche Anzahl an Engagements zusammen. Zingg beschwichtigt: «Es tönt nach viel. Aber ich kann es selbst einteilen.» Und das eine oder andere Amt gebe er ja demnächst ab.

Auf jeden Fall verbringe er heute viel mehr Zeit als einst mit seiner Familie, insbesondere mit seiner Frau. Das geniesse er sehr und sei ihm wichtig. Denn seine Frau habe die vier Kinder «fast alleine erzogen». Auch Sport nimmt heutzutage wieder mehr Raum in seinem Alltag ein als einst. Zwar kann der frühere Fussball-Goalie nach einer schwerwiegenden Knieverletzung nicht mehr gut joggen. Doch mit Velofahren oder Nordic Walking hält er sich fit. Und natürlich mit Schwimmen. Zingg ist als leidenschaftlicher Schwimmer bekannt, seit vielen Jahren schon. Im Sommer trifft sich der Alt-Stadtpräsident jeden Morgen um 6.30 Uhr mit einem Häufchen Gleichgesinnter bei der Oltner Badi. «Das ist sakrosankt», sagt er und schmunzelt. Zuerst legt er im Becken rund einen Kilometer zurück, ehe er mit der Gruppe zum Chessiloch hoch geht, von wo er sich zurück zur Badi treiben lässt.

Auch sei er ein eifriger Leser von Zeitungen und Büchern. Vor allem Zeitgeschichtliches und Biographien haben es ihm angetan. Mit seiner Frau unternimmt Zingg auch sehr gerne und oft Ausflüge. Er habe rund 1700 Diensttage in der Schweizer Armee absolviert. Da habe er viele schöne Ecken der Schweiz kennen und schätzen gelernt. Das Tessin, wo die Zinggs jedes Jahr einige Ferientage verbringen, bezeichnet er gar als «zweite Heimat». Er besucht auch gerne die Familie oder Angehörige, etwa seine Kinder und Enkel, oder die Verwandtschaft seiner aus dem Domleschg stammenden, romanischsprachigen Mutter.

Gescheiterte Fusion als grösste Niederlage

Zurück zu den Themen, bei denen in Ernst Zingg der Politiker wieder erwacht. Angesprochen auf das Finanzdebakel der Stadt Olten nach dem plötzlichen Ausbleiben der zuvor reichlich fliessenden Alpiq-Millionen und den Zankapfel Olten SüdWest meint Zingg, er wolle sich eigentlich nicht mehr verteidigen – und tut es dann doch. Die vielgeäusserte Vermutung etwa, der Stadt Olten sei damals das Areal Olten SüdWest zum Kauf angeboten worden, sei unwahr. «Wir bekamen nie ein Angebot. Holcim bestätigt das schriftlich.» Die Verkäuferin habe das Areal dem Meistbietenden verkaufen wollen. «Und die Stadt Olten hätte diesen Betrag, der letztlich bezahlt wurde, nicht stemmen können.» Doch das glaube man ihm leider nicht. Mit der Entwicklung in Olten SüdWest sei auch er nicht glücklich. «Aber das lässt sich korrigieren.»

Was ihn bis heute umtreibt, ist die gescheiterte Fusion von Olten mit den Nachbargemeinden Trimbach, Hauenstein-Ifenthal und Wisen im Juni 2012. In seiner 16-jährigen Amtszeit als «Stapi» habe er weit über 20 Abstimmungen gewonnen, deren zwei aber verloren. Neben dem Parkhaus Munzingerplatz eben jene über die Fusion. Zingg betrachtet dies als seine grösste politische Niederlage. «Das hat mich geschmerzt.» Die drei Dörfer stimmten seinerzeit der Fusion deutlich zu, Olten hingegen lehnte sie ab. Vor der Abstimmung, bedauert Zingg, hätten nicht wenige in Olten gehöhnt, Trimbach sei das «Griechenland der Schweiz». Das zeitige bis heute Nachwirkungen.

Zum Schluss des Gesprächs, das er immer wieder mit Anekdoten schmückt, schafft Ernst Zingg ungefragt einen eleganten Übergang auf seine grössten Erfolge. Namentlich zählt er die Umfahrung Olten, den Neubau der Fachhochschule, die Renovation des Stadttheaters und die «hervorragende» Zusammenarbeit mit den SBB auf. Auch sei das Wiederaufleben des Regionalverbandes Olten-Gösgen-Gäu im Wesentlichen sein Verdienst. Und mit den Stadtpräsidenten Aaraus und Zofingens habe er das 66 Gemeinden umfassende AareLand geschaffen. Das sei für den Erhalt zusätzlicher Bundesgelder bei Infrastrukturprojekten wie der Umfahrung Olten sehr hilfreich gewesen. «Da klopfe ich mir auf die Schulter.» Sagt es und klopft sich mit der rechten Hand auf die linke Schulter.

 

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Auf meinen Laptop.

An diesem Ort gefällt es mir ausgezeichnet

Da, wo ich wohne: in Olten am Terrassenweg. Und dann auch ein wenig höher am Waldrand, wo ein Bänkli steht, von dem aus man die ganze Stadt überblicken kann.

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