Viel mehr als «nur» ein Flüchtling

Ismail Said Seit mehr als eineinhalb Jahren hat sich der Iraker in Olten ein Leben aufgebaut und wohnt in einer WG an der Rosengasse. Nachdem jedoch sein Asylgesuch abgelehnt wurde, ist seine Zukunft ungewiss.

Ismail Said hat sich in Olten gut eingelebt. Lange in der Eisenbahnerstadt bleiben darf er aber wahrscheinlich nicht mehr. (Bild: vwe)
Ismail Said hat sich in Olten gut eingelebt. Lange in der Eisenbahnerstadt bleiben darf er aber wahrscheinlich nicht mehr. (Bild: vwe)

Gedankenversunken blickt der 27-Jährige auf den dahinplätschernden Fluss, welcher die rechte von der linken Stadtseite trennt, und seufzt. «Es ist momentan eine schwierige Zeit für mich. Ich bin einfach müde, will aber nicht aufgeben», erzählt Ismail Said. Er, der vor über eineinhalb Jahren den Entscheid traf, seine Familie, seinen Job und sein Land hinter sich zu lassen und in eine fremde Kultur zu flüchten. Auf den damaligen Entschluss angesprochen, beginnt der kurdisch- stämmige Iraker zu erzählen. «Es war ein Samstag. Ein Samstag im September», erinnert er sich.

Kein Unterschied zwischen Religionen

Damals habe er immer wieder anonyme Drohanrufe erhalten. Von fundamentalistischen Gruppen, denen Said’s Lebensstil und besonders sein Job missfielen. «Ich hatte mit meinem eigenen Geld einen kleinen Schmuckshop aufgebaut, in dem ich Halsbänder, Armreifen und Ohrringe verkaufte», so Ismail Said. Dies wäre weiter kein Grund gewesen, warum er sich in die Schusslinie von religiösen Fanatikern rücken würde, doch sein Schmuck widerspiegelte Symbole von unterschiedlichsten Religionen und Kulturen. «Ich bin zwar als Muslim geboren, respektiere jedoch jeden Glauben gleichermassen. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen den Religionen.» Dass er damit einige religiös fundamentalistische Gruppen in seinem Heimatland provozieren würde, war ihm klar. «Jedoch wollte ich meine eigene Meinung vertreten und gegen diese engstirnigen Menschen mit meinem Shop rebellieren.»

Kulturen prallen aufeinander

Dass er deshalb irgendwann sein Land verlassen müsste, hätte der damals 26-Jährige aber wahrscheinlich nie gedacht. Als die Drohungen jedoch anhielten und er sein Leben in seiner Heimat Erbil, Hauptstadt der Regierung der Autonomen Region Kurdistan im Irak, bedroht sah, nahm er die lange beschwerliche Reise nach Europa auf sich. 38 Tage dauerte sein Weg über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn, Österreich, Deutschland und schliesslich bis ins Durchgangs- zentrum ins Oltner Gheid. Da er vier Sprachen (arabisch, persisch, kurdisch und englisch) spricht, machte er sich in der Asylunterkunft schnell einen Namen als «Translater» und wurde von den Betreuern auch als solcher für Gespräche im Spital oder mit den Behörden eingesetzt. «Durch mein Engagement lernte ich auch schnell die Leute vom Cultibo und «Olten im Wandel» kennen und es entwickelten sich Freundschaften.» Irgendwann fragte ihn seine Kollegin Andrea, ob er nicht in ihre Wohngemeinschaft an der Rosengasse ziehen wolle. Und so kommt es, dass Ismail Said seither die kleine Gasse auf der rechten Aareseite sein Zuhause nennt. Dort fühle er sich wohl. «Wir teilen alles. Wir essen, arbeiten und lernen zusammen. Diese Art des gemeinsamen Lebens erinnert mich stark an meine Heimat», zeigt sich Said dankbar. Ansonsten fehle ihm das Gemeinschaftsdenken und diese Offenheit in der Schweiz. «Die Menschen leben hier zwar in einer wunderschönen Landschaft, haben ein gutes, sicheres Leben, aber trotzdem sind sie nicht glücklich», so der Iraker. Für ihn seien die Menschen hier «Sklaven des Geldes» und denken nur an ihren eigenen Verdienst. «Ich gehe gerne in die Natur, meist auf eine Anhöhe wie das Sälischlössli, und denke dort über die Gesellschaft nach. Von oben betrachtet sehen die Menschen in Olten nämlich wie Ameisen aus, die den ganzen Tag nur am Arbeiten sind.» Generell fühle er sich sehr mit der hiesigen Landschaft verbunden und lese gerne Fachbücher über Naturphänomene. Kein Wunder also, dass er auch mitten in unserem Gespräch wie selbstver- ständlich aufsteht und eine alte Plastikverpackung aus der Aare fischt. «Die sind schlecht für die Tiere, weisst du.»

Um Mitmenschen kümmern

Er würde gerne irgendwann selbst ein Buch schreiben - beispielsweise über die kulturellen Differenzen zwischen der Schweiz und seiner Heimat. «In Erbil teilen Nachbarn alles miteinander. Wenn ich etwas Gutes zum Essen gekauft habe, dann möchte ich das gemeinsam mit meinen Nachbarn geniessen», erzählt Said weiter. In Olten würden sich die Nachbarn teilweise nicht einmal beim Namen kennen und die Menschen sich viel weniger Zeit füreinander nehmen. «Eine Stunde pro Tag sollte sich jeder für Freunde freihalten.» Grundsätzlich sieht es der 27-Jährige als unsere Pflicht an, sich um seine Mitmenschen zu kümmern. In seine irakische Heimatstadt seien zeitweise mehrere Hunderttausend Personen von Syrien geflüchtet. Er habe Geld für sie gesammelt und gemeinsam mit seiner Schwester als Volontär für ein Jahr die Kinder im Flüchtlingscamp unentgeltlich unterrichtet. «Denn wenn wir ihnen nicht geholfen hätten, wer dann?» Beim Begriff «Flüchtlinge» hält Ismail Said inne und erklärt, dass er diese Bezeichnung eigentlich überhaupt nicht mag. «Es klingt so, als wären diese Menschen weniger wert als andere, als wären sie gar keine richtigen Personen. Dabei steckt in ihnen viel mehr als einfach «nur» ein Flüchtling. »

Negatives Asylgesuch

Diese Abneigung gründet wahrscheinlich auch darauf, dass er selber zur Genüge als Flüchtling beziehungsweise als Asylbewerber abgestempelt wurde. Mittlerweile kann dieser Begriff gar mit «abgelehnter Asylbewerber» ersetzt werden. Denn Said’s Asylgesuch wurde abgelehnt mit der Begründung, er sei in seiner Heimatstadt nicht an Leib und Leben bedroht. Käme er aus der zirka 90 Kilometer entfernten irakischen IS-Hochburg Mossul würde dieser Entscheid wohl anders lauten. Doch so steht der 27-Jährige nun vor einer unsicheren Zukunft. Wegen des negativen Bescheids musste er auch seinen Job in der Oltner Atlas Bistro Bar aufgeben. «Ich habe nichts mehr und weiss nicht, wie es weitergeht.» Seinen Eltern, mit denen er ein enges Verhältnis pflegt und bis dreimal täglich telefoniert, habe er nichts vom negativen Entscheid gesagt, sie würden sich nur sorgen. Bis Mai habe er Zeit eine Lösung zu finden oder er werde wahrscheinlich ins Asylzentrum Balmberg verlegt, wo er seine bisherigen Freiheiten verlieren würde, wie er erklärt. Ein Rückübernahmeabkommen zwischen dem Irak und der Schweiz besteht jedoch nicht, daher könnte sein Aufenthalt im Solothurner Gebirgsort für längere Zeit sein. Mittlerweile wäre der einzige Weg aus seiner Misere die Heirat einer Schweizerin. Diesen wolle er aber ohne eine wirkliche Liebesbeziehung nicht einschlagen. «Ich weiss nicht, was ich machen soll. Ich bin müde, darüber nachzudenken», erklärt er traurig und möchte lieber wieder über seine Liebe zur Natur und Philosophie sprechen.

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