Spieler, Sportler und Forscher
Peter Hohler Schon sein ganzes Leben lang spielt Peter Hohler Schach. Eine Begegnung mit einem Aficionado.
Das Schachzimmer sei aber nicht aufgeräumt, warnt Peter Hohler, während er die Treppe im Haus in Aarburg hochsteigt. Oben angekommen, setzt sich der gebürtige Oltner an den Schreibtisch, der vor dem einzigen Fenster des Zimmers steht, und legt die Unterarme auf die Tischkante. Auf dem Schreibtisch steht ein hölzernes Schachbrett, die Figuren in der Grundstellung aufgereiht, daneben ein Laptop. Hohler bittet um einen Moment. Für das Foto will der 79-Jährige die Figuren in eine Stellung bringen. Seine rechte Hand huscht ein paar Mal flink über das Schachbrett. Dann legt er sie auf die Linke und lächelt in die Kamera.
Hinter dem Schreibtisch stehen zwei Büchergestelle. Die Buchrücken darin zeugen von Hohlers Passion: «Das Verständnis des Mittelspiels im Schach», «Winning with the Modern London System» oder «I. und II. Internationales Schachturnier zu San Sebastian 1911 u. 1912» lauten die Buchtitel. Als Hohler das Interesse an seinen Büchergestellen bemerkt, öffnet er die Tür gegenüber dem Schreibtisch. Dahinter kommt eine Kammer zum Vorschein, in der zwei weitere volle Bücherregale stehen.
«Als ich mit Schach begann, da studierten wir im stillen Kämmerlein», beginnt Hohler, wieder unten angekommen, zu erzählen. Über den Kaffeetisch ist eine beige Tischdecke drapiert, darauf steht ein Teller mit Keksen. «Wer eine gute Eröffnung gefunden hatte, konnte damit unter Umständen mehrere Partien gewinnen.» Hohler lehnt im Sessel nach vorne und stützt die Ellbogen auf die Knie. «Wenn heute jemand etwas Neues spielt, dann weiss es die ganze Welt noch am gleichen Tag», sagt er, während er den Kopf abdreht und sich die Hände reibt.
Acht Millionen Partien im Laptop
In seinem Laptop hat Hohler mehr als acht Millionen Partien gespeichert, darunter auch seine eigenen. «Ich bin daran, die zu analysieren», sagt er. Das ist Teil seines täglichen Trainings. Von seinen 2500 Partien, die aufgezeichnet vorliegen, sei er etwa mit der Hälfte durch. Auf seinem Computer hat Hohler auch mehrere Schachprogramme installiert. Ihnen füttert er die Stellungen aus den Partien und sieht sich dann an, welche Lösungen sie ausspucken. «Sie sind sich nicht immer einig», sagt Hohler mit spitzbübischem Lächeln. Der Computer sei unfassbar schnell. «Aber 99 Prozent seiner Berechnungen sind eigentlich sinnlos.»
Typisch für die Generation
«Meine Schachkarriere ist typisch für meine Generation», sagt Hohler, der im kommenden Frühling seinen achtzigsten Geburtstag feiert. «Schach habe ich vom Vater gelernt», erzählt er von seiner Kindheit, die er zusammen mit Bruder Franz, dem späteren Autoren, in Olten verbrachte. Gegen den Vater habe er als Bub oft verloren. «Dann wurde ich wütend», erinnert sich Hohler schmunzelnd. Später trat er dem Schachklub Olten bei, und schon bald war es der Vater, der die Partien verlor.
Schon als Jugendlicher wurde Hohler Klubmeister. «Die Gegner waren nicht besonders stark», merkt er an. Mit achtzehn nahm Hohler an der Juniorenweltmeisterschaft, damals in Basel, teil und landete im Mittelfeld. Zwei Jahre später begann er ein Mathematikstudium an der Zürcher ETH. Ein paar Jahre lang studierte er, unterrichtete in Olten und Zürich Mathematik und spielte Schach. Zu dieser Zeit wurde er Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft. Dann reichte er seine Dissertation ein. «Eine Verallgemeinerung von orthogonalen lateinischen Quadraten auf höhere Dimensionen» lautete der Titel. «In diesen Jahren hatte ich Zeit, um Schach zu spielen.» 1966 nahm Hohler als Mitglied des Schweizer Teams an der Studentenweltmeisterschaft teil und erzielte das viertbeste Ergebnis des Turniers. 1969 platzierte er sich an der Schweizer Meisterschaft auf dem dritten Rang. 1970 vertrat er die Schweiz an der Schach-Olympiade in Siegen, Deutschland, und 1974 gewann er den Coupe Suisse.
Wenig Zeit für Schach
Inzwischen hatte Hohler eine Familie gegründet und arbeitete als Mathematiklehrer an der Oltner Kantonsschule. Da verstarb seine erste Ehefrau im Alter von nur 33 Jahren. Hohler arbeitete und kümmerte sich um seine beiden Töchter, die damals noch Kleinkinder waren. Für Schach blieb da wenig Zeit übrig.
«Erst mit 46 Jahren habe ich beschlossen, wieder einzusteigen», erzählt Hohler. Mindestens ein Turnier pro Jahr nahm er sich vor. Doch der Zug sei da schon abgefahren gewesen. «Vorher konnte ich mit den Besten der Schweiz mithalten.» Erfahrung sei schon wichtig im Schach, hält Hohler fest. «Aber Jugend zählt mehr.» Junge würden schneller denken. «Und sie sind bereit, sich am Brett zu zerreissen.» Im Alter sei man geneigt, eher einfachere Züge zu machen und weniger Risiko einzugehen.
Erfolgreich war Hohler aber weiterhin. An der Senioren-Weltmeisterschaft 2002 im deutschen Naumburg platzierte er sich auf dem 24. Rang von 255 Teilnehmern. Insgesamt vier Silbermedaillen holte er mit dem Schweizer Seniorenteam an Europameisterschaften. «Einmal platzierten wir uns sogar vor den Russen», fügt Hohler an. Und an der Mannschafts-Weltmeisterschaft 2004 auf der Isle of Man in der irischen See erreichte er Bronze.
Seit seiner Pensionierung nimmt Hohler an fünf bis sechs Turnieren im Jahr teil. «In einem Turnier spielt man neun oder elf Partien, von denen jede einen Tag in Anspruch nimmt», erklärt er. Mit An- und Abreise sei er also jeweils gut zwei Wochen unterwegs. Nach den letzten Turnieren vor der Coronapandemie gefragt, steht Hohler auf, geht die Treppe hoch und kommt kurz darauf mit einem roten Ordner in der Hand zurück. Darin hat er alle seine Turnierbesuche seit 1987 aufgezeichnet. 2019 war er im März im Deutschen Bad Wörishofen, im April in Rhodos, Griechenland, im Sommer in Leukerbad, im September auf der kroatischen Insel Mali Losinj und im Oktober in Bukarest, Rumänien.
«Was ist Schach eigentlich?»
«Ich bin nicht der klassische Plauschspieler», stellt Hohler klar. Dann lehnt er sich im Sessel zurück, breitet die Arme aus und fragt rhetorisch: «Was ist Schach eigentlich?» Es sei eben mehr als ein Spiel. «Es ist auch ein Sport, für den ich trainiere.» Und als Schachspieler sei er auch Wissenschaftler, der nach Lösungen forsche. Dank dieser Forschung erkenne er in Schach Schönheit. «Sowie ich sie auch in Musik, in Bildern oder einer mathematischen Gleichung erkenne.» Schönheit sei aber subjektiv. «Und das ist eigentlich auch ganz gutso. Es müssen nicht alle das Gleiche machen.»