«One, two, hold your notes»

Serie zur Freiluftausstellung «ch-4656 im Blick» Der Stadtanzeiger publiziert wöchentlich einen ausgestellten Text von einer Autorin/einem Autor und ein Foto eines Fotografen, der bei der Freiluftausstellung in Starrkirch-Wil mitgewirkt hat.

Der Fotograf Remo Buess lichtete den Heimweh-Schweizer Bernhard Spirig ab, der in Starrkirch-Wil aufgewachsen ist. (Bild: Remo Buess)
Der Fotograf Remo Buess lichtete den Heimweh-Schweizer Bernhard Spirig ab, der in Starrkirch-Wil aufgewachsen ist. (Bild: Remo Buess)

Schon der Schlussgruss per E-Mail sagt einiges über ihn: «Gruss vom Heimweh-Schweizer mit Trump-Schnupfen.» Er ist ein engagierter Mensch, herzlich, bisweilen kämpferisch: Bernhard Spirig, 62, aufgewachsen in Starrkirch-Wil, Musiker und Musiklehrer in Saugerties, New York. Vor bald 20 Jahren zog es ihn der Liebe wegen in die USA. Schuld daran hat sein Bruder Andreas, der mehr als 20 Jahre zuvor nach einem Austauschjahr nicht mehr zurückkehrte. Als er ihn einmal besuchte, lernte er Carol kennen, bald ein guter Grund, um auch zu bleiben. Der Besuch aus der Schweiz nun ist für Bernhard eine zu packende Chance um einen Vergleich zwischen alter und neuer Heimat anzustellen. «Ich habe ein bildungspolitisches Anliegen», sagt er auf der Fahrt zur Bandprobe. Die Probe mit der «Big Blue Band», ein 17-köpfiges Ensemble mit Sängerin, ist angesagt. Als Musiklehrer unterrichtet er gross und klein. Dazu zählen die Proben mit der 80-köpfigen Concert Band der Elementary School und der rund halb so grossen Symphonic Band der Junior High School. Vor allem bei den Kleinen ist viel Geduld und noch mehr Elefantenhaut gefragt, bei den Grossen hingegen auch Früchte ernten angesagt. Letztere erbringen eine deutlich höhere Konzentration, die Fortschritte sind offensichtlich hörbar(er). Bernhards Leidenschaft überträgt sich in beiden Schulhäusern, etliche Schülerinnen und Schüler spielen mehr als ein Instrument, viele machen seinetwegen mit. Ein Schüler sagt: «He’s good, not harsh, he’s different, I don’t know why, but he is.» Bernhard kommentiert das Schaffen der Kinder und Jugendlichen manchmal mit einem «beautiful», das eine Mal ironisch im Unterton, ganz selten wird er laut und ruft ein «let’s do it without talking» in die Runde. Noch seltener, wenn das Geplapper und Gedudel definitiv überhandnimmt, kommt ruhig ein «I’m really sick of it». Kurze Registertests folgen auf Klassenübungen und umgekehrt. Dabei immer wieder: «One, two, hold your notes.» Warum also Heimweh? Während der Arbeit nie! In der Freizeit manchmal schon. Sagt er. Er vermisse die Schweiz alleine schon der vielen Auftrittsmöglichkeiten wegen. Aber schulisch sollte die Musik einen höheren Stellenwert haben. Denn wenn es etwas gäbe, worin das Schulsystem im Staat New York wirklich besser wäre, so sei das die Musikerziehung. Ein weiterer, vermutlich unbewusster Bezug zur Heimat stellt er via seinen kleinen Ford her: Er nennt ihn ironisch Essiggurke. Ein Schelm, wer dabei nicht an den Oltner Cornichon denkt. Rhaban Straumann

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Remo Buess entstanden.

Zum Autor:

Rhaban Straumann, 1972, wohnhaft in Olten, ist Schauspieler, Satiriker und Autor. Das kantonale Kuratorium bezeichnet ihn als Ausnahmeerscheinung und verlieh ihm 2014 für sein Bühnen- schaffen den «Preis für Schauspiel». Olten tat dies 2009.

Zum Fotograf:

Remo Buess, aufgewachsen 1979 in Niedergösgen, erlernte den Beruf des Maschinen- mechanikers. In seiner Freizeit hielt er immer wieder Momente fest, indem er sie auf Zelluloid bannte. Als er auf seinen Reisen der kommoden Fotoperspektive des kommunen Knipsers müd wurde, wechselte er mit einer Ausbildung zum Segelflug-Piloten den Blickwinkel drastisch. Sein Weg nach oben kreuzte sich mit jenem Marco Grobs und verlief ab dato partiell parallel dazu. Im August 2010 assistierte Buess Grob an einem Fotoshooting, bei welchem die Sendung «Kulturplatz» des Schweizer Fernsehens den Meister beim Porträtieren porträtierte. Spätestens dort leckte er endgültig Blut und verschrieb sich fortan prioritär dem Ablichten von Antlitzen. Sein Handwerk perfektionierte er unter anderem als Assistent von Marco Grob. Vor seiner Linse tummelten sich bereits lokale Grössen genauso wie Roger Federer, Francois Hollande, Emil Steinberger, Patricia Schmid, Victor Giacobbo oder andere klangvolle Namen. Und Buess bleibt hungrig: «Entscheidend ist nicht der Name, entscheidend ist die Geschichte, die ein Gesicht erzählt.»

CH-4656 im Blick
Vom 7. Juli bis 22. September präsentiert die Kulturstiftung Starrkirch-Wil die Freiluftausstellung «ch-4656 im Blick». Sechs bekannte Persönlichkeiten aus der Region brachten ihre Gedanken über die Gemeinde aufs Blatt, während sich sechs namhafte Fotografen mit der Oltner Nachbars- gemeinde auseinandersetzten. Die Texte und Fotografien sind entlang des Kreuzweges in Starrkirch-Wil zu sehen. Der Stadtanzeiger Olten veröffentlicht wöchentlich bis Ende August jeweils einen Text und ein Bild.
<link http: www.4656.ch>www.4656.ch

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